0-2. Szene                                                                                                                                                         Café Pucher am Kohlmarkt

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(Anm. Im Café Pucher' am Kohlmarkt 10 verkehrte der so genannte »Ballhausplatz«, also Minister, Diplomaten und hohe Regierungsbeamte. Das Café lag an der Ecke zur Wallnerstraße kurz vor der Hofkonditorei Demel und bestand aus einem kleinen Vorraum, der als Damenzimmer diente, und einer Flucht niedriger, verrauchter Säle von hellgelber Farbe. Das Café war auch das Stammcafé von Karl Kraus.)

Zahlkellner Eduard, Prokurist des Bankvereins Geiringer, der Fremde, Kellner Franz, Ministerpräsident Karl Reichsgraf von Stürgkh, Minister des Inneren Karl Freiherr von Udynski, Direktor der Kabinettskanzlei Franz Schießl / schlafende Kassierin Paula, anderer Kellner, Kaffeekoch, Koch

An demselben Abend vor Mitternacht. Das Kaffeehaus ist beinahe leer; nur zwei Tische sind besetzt. An dem einen hat ein Prokurist des Bankvereins soeben Platz genommen. An dem andern sitzen zwei glatzköpfige Herren, die, jeder eine Zigarre mit Papierspitz im Mund, in die Lektüre von Witzblättern vertieft sind. Die Kassierin schläft. Ein Kellner fuchtelt zum Scherz mit dem »Hangerl« vor ihrem Gesicht. Ein anderer wird vom Kaffeekoch mit einem Fetzen aus der Küche gejagt, worüber der Zahlkellner und der Koch in Gelächter ausbrechen.

Der Zahlkellner Eduard: Seids in ein Tschecherl? Schamts euch! Die Minister lesen, schamts euch, und die Fräuln Paula schlaft!

Der Prokurist: Sie!

Eduard: Herr von Geiringer?

Der Prokurist: Eine Trabukko und eine Extraausgabe!

Eduard (zieht die Zigarrentasche und die Zeitung aus der inneren Rocktasche hervor und sagt): Ein Trabukkerl und etwas fürs Gemüt!

Der Prokurist: War niemand da? Wieso is heut so stier? Nicht einmal der Dokter Gomperz?

Eduard: Niemand, Herr von Geiringer.

Der Prokurist: Hat wer telephoniert?

Eduard: Bisher nicht. Jedenfalls das schöne Wetter – vielleicht über die Feiertäg die Herrn einen Ausflug –

Der Prokurist: Was für ein Feiertag is denn heut?

Eduard: Peter und Paul, Herr von Geiringer (29. Juni).

(Während die beiden ihr Gespräch fortsetzen, ist ein Fremder eingetreten. Er hat an einem Tisch vis-à-vis den beiden älteren Herren Platz genommen. Ein Kellner bringt Kaffee.)

Der Fremde: Sie Markör (Herr Ober), wer sind denn die beiden älteren Herren, die kommen mir so bekannt vor –

Franz (sich über den Gast beugend): Das is der Ministertisch. Der Herr mit dem Zwicker, der was das Kleine Witzblatt liest, is seine Exlenz (Udynski) der Minister des Innern, und der Herr mit dem Zwicker, der was den Pschütt studiert, das is seine Exlenz der Herr Ministerpräsident (Reichsgraf von Stürgkh).

Der Fremde: So! Sind die nur heute da, wegen des Ereignisses (in Sarajevo), oder immer?

Franz: Jeden Abend bereits, na ja, die Exlenzen sind (durch die Bank) hauptsächlich Junggesellen.

Der Fremde: So! Und wer ist der Herr, der grad dazukommt?

Franz: Ah is scho da – das is Seine Exlenz (Freiherr von Schießl,) der Direktor der Kabinettskanzlei.

Der Fremde: So!

(Franz stürzt davon und bringt dem Direktor der Kabinettskanzlei (Franz Schiessl) eine Limonade und das Interessante Blatt. Nach einer Weile sagt)

Der Ministerpräsident Stürgkh (indem er die Pschütt-Karikaturen beiseite legt): Nix besonderes heut.

Der Minister des Innern Udynski (gähnt und sagt): Fad!

Der Ministerpräsident Stürgkh: Überhaupt, bis so ein Tag vorüber is!

Der Direktor der Kabinettskanzlei Schiessl: Man spürt scho die Hundstäg.

Der Ministerpräsident Stürgkh (nach einer Pause des Nachdenkens): Ein Communiqué, denk ich, wird halt doch nötig sein, denk ich. »Wegen der Maßnahmen, die die Regierung zu der durch die Ereignisse geschaffenen Situation ins Auge gefaßt hat, zu deren Besprechung die Mitglieder des Kabinetts in längerer Konferenz beisammen verblieben« und so.

Der Minister des Innern Udynski: Tunlichst.

Der Ministerpräsident Stürgkh: Eduard!

Der Minister des Innern Udynski: Welche Maßnahmen werden wir denn treffen?

Der Ministerpräsident Stürgkh: Das wird vom Communiqué abhängen. – Sie Eduard!

Eduard: Befehlen, Exlenz?

Der Ministerpräsident Stürgkh: Gibts denn heut gar nix Neues? Bringen S' die – wie heißt's denn?

Eduard (unter den Witzblättern am Tisch suchend): Fehlt denn noch was, Exlenz? – Richtig!

(Er geht zum Zeitungsschrank.)

Währenddessen nähert sich der Prokurist (Geiringer) dem Ministertisch und zieht den Minister des Innern, (Karl Freiherr von Udynski), der sich erhoben hat, ins Gespräch.

Eduard winkt den Kellner Franz herbei, der eben mit einem Fetzen aus der Küche gejagt wurde und sich anschickt, der schlafenden Kassierin mit dem Hangerl vor dem Gesicht zu fuchteln.

Eduard: Hörts denn no net auf? Seids in ein Tschecherl? Schamts euch! (Er sucht weiter im Zeitungsschrank.) Wo habts denn wieder die Illustrierten hinmanipuliert? Für den Ministertisch die (illustrierte) Bombe!