1-1. Szene                                                                                                                                Wien. Ringstraßenkorso. Sirk-Ecke (28. Juli 1914)

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(Anm. Exakt einen Monat zuvor hat der serbische Attentäter Gavrilo Princip den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau in Sarajewo erschossen. Österreich bereitet ein Monat lang die Vergeltung vor und stellt am 23. Juli 1914 dem Königreich Serbien ein Ultimatum von 48 Stunden mit harten Bedingungen. Serbien lehnt die sechste der zehn Bedingungen im Ultimatum ab, nämlich österreichische Organe zur Untersuchung des Attentats ins Land zu lassen und Österreich-Ungarn erklärt Serbien am 28. Juli den Krieg.)

Ein Zeitungsausrufer, zweiter Zeitungsausrufer, Demonstrant mit hochrotem Gesicht, Gebildeter, Pülcher, Prostituierte, erster und zweiter Passant, die Menge, zwei Reporter der Neuen Freien Presse, zwei Armeelieferanten, Generaldirektor in Zivil, dritter Passant, vierter Passant mit Begleiter, 4 Offiziere, Wiener der eine Ansprache hält, acht Stimmen aus der Menge, Bettelbub, zwei Mädchen, Wachmann, Intellektueller und seine Freundin, Fiaker, Fahrgast, Hausmeister, zwei Amerikaner vom roten Kreuz, zwei Türken, Besonnener, Stimme eines Kutschers, Passant und seine Frau, weibliche Stimme aus der Menge, Poldi Fesch, zwei Verehrer der Reichspost (Zentralorgan der christlich-sozialen Partei), alter Abonnent der Neuen Freien Presse, der älteste Abonnent der Neuen Freien Presse, vier Burschen und vier Mädchen, Fräulein Körmendy und Fräulein Löwenstamm, drei Pülcher, zwei Agenten (reisende Geschäftsleute) / vorbeimarschierende Soldaten, Generaldirektor in Zivil, zwei Chinesen, Dame mit leichtem Anflug von Schnurrbart, Tenor Fritz Werner, Taschendieb und alte Frau, Begleiter des Poldi Fesch / (Gesang:) Trupp singender Knaben mit Tschako und Holzsäbel, singende Gruppe, Gesang vorbeiziehender Soldaten

28. Juli 1914. Etliche Wochen später. Fahnen an den Häusern. Vorbeimarschierende Soldaten werden bejubelt. Allgemeine Erregung. Es bilden sich Gruppen.

(1.1.1)                                                                                                                                                                                                          Demonstrant

Gruppe: (singt den »Prinz-Eugen-Marsch«:)

1.

Prinz Eugen der edle Ritter,

wollt dem Kaiser wied'rum kriegen

Stadt und Festung Belgerad!

Er ließ schlagen eine Brukken,

daß man kunt hinüberrucken

Stadtunfestung Belgerad.

2.

Als die Brucken nun war geschlagen,

daß man kunnt mit Stuck und Wagen

Frei passir'n den Donaufluß,

Bei Semlin schlug man das Lager,

Alle Türken zu verjagen,

Ihn'n zum Spott und zum Verdruß.

Ein Zeitungsausrufer: Extraausgabee –!

Zweiter Zeitungsausrufer: Extraausgabee! Beidee Berichtee!

Ein Demonstrant (der sich von einer Gruppe den Prinz-Eugen-Marsch singender Leute loslöst, ruft mit hochrotem Gesicht und schon ganz heiser unaufhörlich): Nieda mit Serbieen! Nieda! Hoch Habsburg! Hoch! Hoch Serbieen!

Ein Gebildeter (den Irrtum bemerkend, versetzt ihm einen Rippenstoß): Was fällt Ihnen denn ein –

Der Demonstrant (anfangs verdutzt, besinnt sich): Nieda mit Serbieen! Nieda! Hoch! Nieda mit Habsburg! Serbieen!

(1.1.2)                                                                                                                                                                                        Pülcher & Prostituierte

(Im Gedränge einer zweiten Gruppe, in die auch eine Prostituierte geraten ist, versucht ein »Pülcher«, der dicht hinter ihr geht, ihr die Handtasche zu entreißen.)

Der Pülcher (ruft dabei unaufhörlich): Hoch! Hoch!

Die Prostituierte: Loslassen! Sie unverschämter Mensch! Loslassen oder –

Der Pülcher (von seinem Vorhaben ablassend): Wos rufn S' denn net hoch? Sie wolln a Padriodin sein? A Hur san S', mirken S' Ihna das!

Die Prostituierte: A Taschelzieher san S'!

Der Pülcher: A so a Schlampen – jetzt is Krieg, mirken S' Ihna das! A Hur san S'!

1. Passant: Burgfrieden, wenn ich bitten darf! Halten S' an Burgfrieden!

Die Menge (aufmerksam werdend): A Hur is! Was hats gsagt?

2. Passant: Wenn mr recht vurkummt, so hat s' was gegen das angestaamte Herrscherhaus gsagt!

Die Menge: Nieda! Hauts es!

(Dem Mädchen ist es gelungen, in einem Durchhaus zu verschwinden.)

Die Menge: Laßts es gehn! Mir san net aso! Hoch Habsburg!

(1.1.3)                                                                                                                                                 Zwei Reporter der Neuen Freien Presse (1)

1. Reporter der Neuen Freien Presse (zu seinem Begleiter): Hier scheinen Stimmungen zu sein. Was tut sich?

2. Reporter der Neuen Freien Presse: Ma werd doch da sehn.

(1.1.4)                                                                                                                                                                                      Zwei Armeelieferanten

1. Armeelieferant (hat mit einem zweiten eine Ringstraßenbahn bestiegen): Da sehn wir sie besser. Wie schön sie vorbeimarschieren, unsere braven Soldaten!

2. Armeelieferant: Wie sagt doch Bismarck, steht heut in der Presse, »unsere Leut sind zum Küssen«.

1. Armeelieferant: Wissen Sie, daß sogar Eislers Ältester genommen is?

2. Armeelieferant: Was Sie nicht sagen! Das hat die Welt nicht gesehn! So reiche Leute auch. Daß sich da nichts machen hat lassen?

1. Armeelieferant: Es heißt, sie versuchen jetzt. Wahrscheinlich wird er hinaufgehn und sichs richten.

2. Armeelieferant: Und im äußersten Fall – Sie wern sehn, jetzt wird er ihm doch das Automobil kaufen, was er sich hat in den Kopf gesetzt.

1. Armeelieferant: Kann man auch verunglücken.

3. Passant: Habe die Ehre, Herr Generaldirektor!

4. Passant (zu seinem Begleiter): Hast ghört? Weißt, wer das is? Ein Generaldirektor in Zivil. Da muß man vorsichtig mit'n Reden sein. Das is nämlich der Vorgesetzte von die Generäle.

(1.1.5)                                                                                                                                                                                                          Vier Offiziere

1. Offizier (zu drei anderen): Grüß dich Nowotny, grüß dich Pokorny, grüß dich Powolny, also du – du bist ja politisch gebildet, also was sagst?

2. Offizier (mit Spazierstock): Weißt, ich sag, es is alles wegen der Einkreisung.

3. Offizier: Weißt – also natürlich.

4. Offizier: Ganz meine Ansicht – gestern hab ich mullattiert – ! habts das Bild vom Schönpflug gsehn, Klassikaner!

3. Offizier: Weißt, in der Zeitung steht, es war unanwendbar.

2. Offizier: Unabwendbar steht.

3. Offizier: Natürlich, unabwendbar, weißt ich hab mich nur verlesen. Also was is mit dir?

4. Offizier: No weißt ich hab halt also Aussicht ins KM (Kriegsministerium).

1. Offizier: No bist a Feschak, kommst halt zu uns. Du gestern war ich dir im (Varieté) Apollo bei der (Diseuse) Mela Mars – hat mir der Nowak von Neunundfünfziger gsagt er hat ghört ich bin eingegeben für die Silberne (Tapferkeitsmedaille).

Ein Zeitungsausrufer: Tagblaad! Kroßer Sick bei Schaabaaz!

4. Offizier: Gratuliere dir – hast die gsehn? Ein Gustomenscherl was sich gwaschen hat, sag ich euch – warts, ich –

(Ab.)

Die andern Offiziere (ihm nachrufend): Kommst also nachher (noch rüber) zum Hopfner!

(1.1.6)                                                                                                                                                                                  Ansprache eines Wieners

Ein Wiener (hält von einer Bank eine Ansprache): – denn wir mußten die Manen des ermordeten Thronfolgers befolgen, da hats keine Spompanadeln geben – darum, Mitbürger, sage ich auch – wie ein Mann wollen wir uns mit fliehenden Fahnen an das Vaterland anschließen in dera großen Zeit! Sind wir doch umgerungen von lauter Feinden! Mir führn einen heilinger Verteilungskrieg führn mir! Also bitte – schaun Sie auf unsere Braven, die was dem Feind jetzt ihnere Stirne bieten, ungeachtet, schaun S' wie s' da draußen stehn vor dem Feind, weil sie das Vaterland rufen tut, und dementsprechend trotzen s' der Unbildung jeglicher Witterung – draußen stehn s', da schaun S' Ihner s' an! Und darum sage ich auch – es ist die Pflicht eines jedermann, der ein Mitbürger sein will, stantape Schulter an Schulter sein Scherflein beizutrageen. Dementsprechend! – Da heißt es, sich ein Beispiel nehmen, jawoohl! Und darum sage ich auch – ein jeder von euch soll zusammenstehn wie ein Mann! Daß sie 's nur hören die Feind, es ist ein heilinger Verteilungskrieg was mir führn! Wiar ein Phönix stema da, den s' nicht durchbrechen wern, dementsprechend – mir san mir und Österreich wird auferstehn wie ein Phallanx ausm Weltbrand sag ich! Die Sache für die wir ausgezogen wurden, ist eine gerechte, da gibts keine Würschteln, und darum sage ich auch, Serbien – muß sterbien!

Stimmen aus der Menge: Bravo! So ist es! – Serbien muß sterbien! – Ob's da wüll oder net! – Hoch! – A jeder muß sterbien!

Einer aus der Menge: Und a jeder Ruß –

Ein anderer (brüllend): – ein Genuß!

Ein dritter: An Stuß!

(Gelächter.)

Ein vierter: An Schuß!

Alle: So is! An Schuß! Bravo!

2. Stimme: Und a jeder Franzos?

3. Stimme: A Roß!

(Gelächter.)

4. Stimme: An Stoß!

Alle: Bravo! An Stoß! So is!

3. Stimme: Und a jeder Tritt – na, jeder Britt!?

4. Stimme: An Tritt!

Alle: Sehr guat! An Britt für jeden Tritt! Bravo!

Ein Bettelbub: Gott strafe England!

Stimmen: Er strafe es! Nieda mit England!

Ein Mädchen: Der Poldl hat mir das Beuschl von an Serben versprochen! Ich hab das hineingeben in die Reichspost!

Eine Stimme: Hoch Reichspost! Unser christliches Tagblaad!

Ein anderes Mädchen: Bitte, ich habs auch hineingeben, mir will der Ferdl die Nierndln von an Russn mitbringen!

Die Menge: Her darmit!

Ein Wachmann: Bitte links, bitte links.

(1.1.7)                                                                                                                                                                                 Intellektueller & Freundin

Ein Intellektueller (zu seiner Freundin): Hier könnte man, wenn noch Zeit wär, sich in die Volksseele vertiefen. Wieviel Uhr is? Heut steht im Leitartikel (von der Neuen Freien Presse), daß eine Lust is zu leben. Glänzend wie er (der Moritz Benedikt) sagt, der Glanz antiker Größe durchleuchtet unsere Zeit.

Die Freundin: Jetzt is halber. Die Mama hat gesagt, wenn ich später wie halber zuhaus komm, krieg ichs.

Der Intellektuelle: Aber geh, bleib. Schau dir bittich das Volk an, wie es gärt. Paß auf auf den Aufschwung!

Die Freundin: Wo?

Der Intellektuelle: Ich mein' seelisch, wie sie sich geläutert haben die Leut, im Leitartikel steht doch, lauter Helden sind. Wer hätte das für möglich gehalten, wie sich die Zeiten geändert haben und wir mit ihnen.

(1.1.8)                                                                                                                                                                                                                       Fiaker

 (Ein Fiaker hält vor einem Hause.)

Der Fahrgast: Was bekommen Sie?

Der Fiaker: Euer Gnaden wissen eh.

Der Fahrgast: Ich weiß es nicht. Was bekommen Sie?

Der Fiaker: No was halt die Tax is.

Der Fahrgast: – (No) Was ist die Tax?

Der Fiaker: No was S' halt den andern gebn.

Der Fahrgast: Können Sie wechseln? (Reicht ihm ein Zehnkronenstück in Gold.)

Der Fiaker: Wechseln, wos? Dös nimm i net als a ganzer, dös könnt franzeisches Göld sein!

Ein Hausmeister (nähert sich): Wos? A Franzos? Ahdaschaurija. Am End gar ein Spion, dem wer mrs zagn! Von woher kummt er denn?

Der Fiaker: Von der Ostbahn!

Der Hausmeister: Aha, aus Petersburg!

Die Menge (die sich um den Wagen gesammelt bat): A Spion! A Spion!

(Der Fahrgast ist im Durchhaus verschwunden.)

Der Fiaker (nachrufend): A so a notiger Beitel vardächtiga!

Die Menge: Loßts'n gehn! Mochts kane Reprassalien, dös ghört si nett! Mir san net aso!

(1.1.9)                                                                                                                                                                                                                Ausländer

Ein Amerikaner vom Roten Kreuz (zu einem andern): Look at the people how enthusiastic they are!

Die Menge: Zwa Engländer! Reden S' deutsch! Gott strafe England! Hauts es! Mir san in Wean!

(Die Amerikaner flüchten in ein Durchhaus.)

Die Menge: Loßts es gehn! Mir san net aso!

Ein Türke (zu einem andern): Regardez l'enthousiasme de tout le monde!

Die Menge: Zwa Franzosen! Reden S' deutsch! Hauts es! Mir san in Wean!

(Die Türken flüchten in das Durchhaus.)

Die Menge: Loßts es gehn! Mir san net aso! Dös war ja türkisch! Sechts denn net, die ham ja an Fez! Dös san Bundesgenossen! Holts es ein und singts den Prinz Eugen!

(1.1.10)                                                                                                                                                                                                               Chinesen

 (Zwei Chinesen treten schweigend auf.)

Die Menge: Japaner san do! Japaner san a no in Wean! Aufhängen sollt ma die Bagasch bei ihnare Zöpf!

1. Stimme aus der Menge: Loßts es gehn! Dös san ja Kineser!

2. Stimme: Bist selber a Kineser!

1. Stimme: 'leicht du!

3. Stimme: Alle Kineser san Japaner!

4. Stimme: San Sö vielleicht a Japaner?

3. Stimme: Na.

4. Stimme: Na olstern, aber a Kineser san S' do!

(Gelächter.)

5. Stimme: Oba oba oba wos treibts denn, habts denn net in der Zeitung g'Iesen, schauts her, da stehts (er zieht ein Zeitungsblatt hervor) »Derartige Ausschreitungen des Patriatismus können in keener Weisee geduldeet werden und sind überdies geeigneet, den Fremdenverkehr zu schädigeen«. Wo soll sich denn da nacher ein Fremdenverkehr entwickeln, wo denn, no olstern!

6. Stimme: Bravo! Recht hot er! Der Fremdenverkehr, wann mr eahm hebn wolln, das is schwer, das is net aso –

7. Stimme: Halts Maul! Krieg is Krieg und wann einer amerikanisch daherredt oder türkisch oder so –

8. Stimme: So is. Jetzt is Krieg und da gibts keine Würschtel!

(1.1.11)                                                                                                                                                                                                                   Spionin

(Eine Dame mit leichtem Anflug von Schnurrbart ist aufgetreten.)

Die Menge: Ah do schauts her! Das kennt ma schon, ein verkleideter Spion! Varhaften! Einspirn stantape!

Ein Besonnener: Aber meine Herren – bedenken Sie – sie hätte sich doch rasieren lassen!

1. Stimme: Wer?

Der Besonnene: Wenn sie ein Spion wäre.

2. Stimme: Drauf hat er vergessen! So hat er sich gfangt!

Rufe: Wer? – Er! – No sie!

3. Stimme: Das is eben die List von denen Spionen!

4. Stimme: Damit mrs net mirkt, daß Spionen san, lassen s' ihnern Bart stehn!

5. Stimme: Redts net so dalkert daher, das is ein weiblicher Spion und damit mrs net mirkt, hat s' an Bart aufpappt!

6. Stimme: Das is ein weiblicher Spion, was sich für ein Mannsbild ausgeben tut!

7. Stimme: Nein, das is ein Mannsbild, was sich für ein weiblichen Spion ausgeben tut!

Die Menge: Jedenfalls ein Vardächtiger, der auf die Wachstubn ghört! Packts eahm!

(Die Dame wird von einem Wachmann abgeführt.)

(Man hört die »Wacht am Rhein« singen.)

Menge  :                                   (singt die »Wacht am Rhein«:)

Es braust ein Ruf wie Donnerhall,

Wie Schwertgeklirr und Wogenprall:

Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein!

Wer will des Stromes Hüter sein?

Lieb’ Vaterland, magst ruhig sein,

Fest steht und treu die Wacht am Rhein!

(1.1.12) Redaktion                                                                                                                         Zwei Reporter der Neuen Freien Presse (2)

1. Reporter der Neuen Freien Presse (hält ein Notizblatt in der Hand):

»(Das war ein Abend, dessen Gedächtnis jedem Wiener, der ihn miterleben durfte, unauslöschlich bleiben wird. Wie der einzelne innerlich erstarkte, von der Bedeutung der Stunde unaufhaltsam fortgerissen wurde, wie die Schlacken des Zweifels und der Unentschlossenheit von uns allen abfielen, wie Parteiunterschiede verschwanden, wie Kümmernisse und Sorgen des Privatlebens in ein wesenloses Nichts zerflossen vor dem Gefühl der Zusammengehörigkeit und der Verantwortlichkeit für die Gesamtheit. Wien hat einen großen Tag erlebt und hat sich seiner würdig gezeigt.) Das war kein Strohfeuer trunkener Augenblicksbegeisterung, kein lärmender Ausbruch ungesunder Massenhysterie. Mit echter Männlichkeit nimmt Wien die schicksalsschwere Entscheidung auf.«

Wissen Sie, wie ich die Stimmung zusammenfassen wer'? Die Stimmung läßt sich in die Worte zusammenfassen:

»Weit entfernt von Hochmut und von Schwäche. Weit entfernt von Hochmut und von Schwäche, dieses Wort, das wir für die Grundstimmung Wiens geprägt haben, kann man nicht oft genug wiederholen. Weit entfernt von Hochmut und von Schwäche (hat man die Nachricht aufgenommen, daß eitle Verblendung des Gegners es verschmäht hat, maßlos gesteigerten Dünkel dem Gefühl für Recht und Gesetzmäßigkeit zu opfern)!«

Also was sagen Sie zu mir?

2. Reporter der Neuen Freien Presse: Was soll ich sagen? Glänzend!

1. Reporter:

»Weit entfernt von Hochmut und von Schwäche. Tausende und Abertausende sind heute durch die Straßen gewallt, Arm in Arm, Arm und Reich, Alt und Jung, Hoch und Nieder. Die Haltung jedes Einzelnen zeigte, daß er sich des Ernstes der Situation vollauf bewußt ist, aber auch stolz darauf, den Pulsschlag der großen Zeit, die jetzt hereinbricht, an seinem eigenen Leib zu fühlen.«

Eine Stimme: Lekmimoasch!

1. Reporter:

»Hören Sie, wie immer aufs neue der Prinz-Eugen-Marsch erklingt und die Volkshymne und ihnen gesellt sich wie selbstverständlich die »Wacht am Rhein« im Zeichen der Bundestreue (mit unseren deutschen Brüdern). Früher als sonst hat heute Wien Feierabend gemacht. (Starke Menschenzüge belebten die Straße. Von den äußeren Bezirken kam immer neuer Zuzug. In den Mienen aller spiegelte sich der Ernst der Stunde und die Erwartung der nahen Entscheidung. Vor den Gebäuden, wo man die ersten bestimmten Nachrichten zu erhalten hoffte, massierte sich das Publikum. Vor dem Kriegsministerium war bereits lange vor 6 Uhr nachmittags der Andrang so stark, daß der Straßenbahnverkehr über die Ringstraße nur mit Mühe aufrecht erhalten werden konnte, daß die Wagen und Automobile nur schrittweise und mit Anwendung aller erdenklichen Vorsicht vorwärts gelangen konnten. Der große Platz war schwarz von Menschen. Dicht gedrängt harrte die Menge, lautlos beinahe, in würdigem Ernst. Der Sockel des Radetzkydenkmals und ebenso die beiden Kandelaber, die das Monument flankieren, waren von Menschen erklettert worden, und aller Augen richteten den Blick nach den Fenstern des Gebäudes, hinter denen bei fortschreitender Abenddämmerung das elektrische Licht aufflammte.«)

Daß ich nicht vergeß, wir müssen besonders schildern, wie sich das Publikum vor dem Kriegsministerium massiert hat. Aber vor allem, nicht vergessen erwähnt zu werden darf – (no) raten Sie.

2. Reporter: Ob ich weiß! Nicht vergessen erwähnt zu werden darf, wie sie zu Hunderten und Aberhunderten sich in der Fichtegasse vor dem Redaktionsgebäude der Neuen Freien Presse massiert haben.

1. Reporter: Kopp was Sie sind.

(»Dort ist längst der Verkehr nur mehr dank der energischen wie konzilianten Mühewaltung der Sicherheitswache möglich. Viertelstunde nach Viertelstunde verrinnt, bis endlich die entscheidende Nachricht in Wien eintrifft und sich mit Blitzesschnelle verbreitet. Die druckfeuchten Extrablätter gehen von Hand zu Hand. Ihr Inhalt ist wenige Minuten später Gemeingut der ganzen Stadt, die mit Blitzesschnelle ihre Physiognomie gewandelt hat. Ein Rauschen und Brausen geht durch ganz Wien und mit elementarer Gewalt bricht sich das Gefühl der begeisterten Vaterlandsliebe, des Patriotischen Enthusiasmus Bahn. Tausende und Abertausende sind heute in langen Zügen durch die Straßen unserer Stadt gewallt, Arm in Arm, Männer und Frauen alt und jung, arm und reich.«)

Ja, das hat er gern der Chef (unser Moritz Benedikt). Aber was heißt Hunderte und Aberhunderte? Ausgerechnet! Sagen (Schreiben) Sie gleich Tausende und Abertausende, was liegt Ihnen dran, wenn sie sich schon massieren.

2. Reporter: Gut, aber wenn man es nur nicht als feindliche Demonstration auffassen wird, weil das Blatt letzten Sonntag, wo doch schon die große Zeit war, noch so viel Annoncen von Masseusen gebracht hat?

1. Reporter: In einer so großen Zeit ist eine so kleinliche Auffassung ausgeschlossen. Überlassen Sie das der Fackel (vom Karl Kraus). Alle haben sie dem Blatt zugejubelt. Es erschollen stürmische Rufe: »Vorlesen! Vorlesen!« und das hat sich selbstredend auf Belgrad bezogen. Dann haben sie tosende Hochrufe ausgebracht –

2. Reporter: Tosende und abertosende Hochrufe –

1. Reporter: – und zwar auf Österreich, auf Deutschland und auf der Neuen Freien Presse. Die Reihenfolge war für uns nicht gerade schmeichelhaft, aber es war doch sehr schön von der begeisterten Menge. Den ganzen Abend is sie, wenn sie nicht gerade vor dem Kriegsministerium zu tun gehabt hat oder auf dem Ball(haus)platz (vor dem Aussenministerium), is sie in der Fichtegasse (vor der Redaktion) Kopf an Kopf gedrängt gestanden und hat sach massiert.

2. Reporter: Wo nur die Leut die Zeit hernehmen, staune ich immer.

1. Reporter: Bittsie, die Zeit is so groß, daß dazu genug Zeit bleibt! Also die Nachrichten des Abendblatts wurden immer und immer wieder erörtert und durchgesprochen. Von Mund zu Mund ging der Name (von Kriegsminister) Auffenberg.

2. Reporter: Wieso kommt das?

1. Reporter: Das kann ich Ihnen erklären, es is ein Redaktionsgeheimnis, sagen Sie's erst, bis Friede is. Also (unser Kriegsberichterstatter xxx) Roda Roda hat doch gestern dem Blatt telegraphiert über die Schlacht bei Lemberg und am Schluß vom Telegramm stehn die Worte: „Lärm machen für Auffenberg!“ Das war schon gesetzt. Im letzten Moment hat man 's noch bemerkt und herausgenommen, dann aber hat man ja Lärm gemacht für (General) Auffenberg!

2. Reporter: Die Hauptsache sind jetzt die Straßenbilder. Von jedem Eckstein, wo ein Hund demonstriert, will er (Benedikt) ein Straßenbild haben. Gestern hat er mich rufen lassen und hat gesagt, ich soll Genreszenen beobachten. Aber grad das is mir unangenehm, ich laß mich nicht gern in ein Gedränge ein, gestern hab ich die »Wacht am Rhein« mitsingen müssen – kommen Sie weg, hier geht's auch schon zu, sehn Sie sich nur die Leut an, ich kenne diese Stimmung, man is auf einmal mitten drin und singt »Gott erhalte« (die Kaiserhymne).

1. Reporter: »Gott beschütze«! Sie haben recht – wozu man selbst dabei sein muß, seh ich auch nicht ein, man verliert nur Zeit, man soll drüber schreiben, stattdem steht man herum. Was ich sagen wollte, sehr wichtig is zu schildern, wie sie alle entschlossen sind und da und dort reißt sich einer los, er will ein Scherflein beitragen um jeden Preis. Das kann man sehr plastisch herausbringen.

(»Von allen Seiten her kamen Menschen. Das Radetzky-Denkmal, das Schwarzenbergdenkmal und dann auch das Deutschmeistermonument waren Stationen eines Zuges, dessen Teilnehmer in tausendstimmigem Chor patriotische Lieder sangen, dann, wieder mit eherner Disziplin verstummten, um improvisierte Reden anzuhören, deren Sprecher von anderen emporgehoben wurden und in kurzen, markigen Worten ohne Überschwang, ohne Geringschätzung oder gar Verhöhnung des Gegners von der Bedeutung der Stunde sprachen, von des Österreichers Vaterlandsliebe, von der Treue an den Staat und von der Anhänglichkeit an Kaiser und Kaiserhaus.«)

Gestern hat er (Benedikt) mich rufen lassen und hat (sogar) gesagt, man muß dem Publikum Appetit machen auf den Krieg und auf das Blatt (die Zeitung), das geht in einem. Sehr wichtig sind dabei die Einzelheiten und die Details, mit einem Wort die Nuancen und speziell die Wiener Note. Zum Beispiel muß man erwähnen, daß selbstredend jeder Standesunterschied aufgehoben war und zwar sofort – aus Automobile haben sie gewinkt, sogar aus Equipagen. Ich hab beobachtet, wie die Dame in der Spitzentoilette aus dem Auto gestiegen is und der Frau mit dem verwaschenen Kopftuch is sie um den Hals gefallen. Das geht schon so seit dem Ultimatum (an Serbien), alles is ein Herz und eine Seele.

Stimme eines Kutschers: Fahr füra, Rabasbua vadächtiga –!

2. Reporter: Wissen Sie, was ich beobachtet hab? Ich hab beobachtet, wie sich Gruppen gebildet haben.

1. Reporter: No und –?

2. Reporter: Und ein Student hielt eine Ansprache, daß jedermann seine Pflicht erfüllen muß, dann hat sich einer aus einer Gruppe gelöst und hat gesagt: »Besser so!«

1. Reporter: Nicht übel. Ich kann nur konstatieren, ein großer Ernst breitet sich über der Stadt aus, und dieser Ernst, gemildert von Gehobenheit und dem Weltgeschichtsbewußtsein drückt sich in allen Mienen aus, in denen der Männer, die schon mitmüssen, in denen derer, die noch dableiben –

Eine Stimme: Lekmimoasch!

1. Reporter: – und in den Mienen jener, denen eine so hohe Aufgabe zuteil wird. Vorbei die bequeme Lässigkeit, die genußfrohe Gedankenlosigkeit; die Signatur ist schicksalsfroher Ernst und stolze Würde. Die Physiognomie unserer Stadt hat sich mit einem Schlage verändert.

Ein Passant (zu seiner Frau): Du kannst von mir aus in die Josefstadt gehn, ich geh (ins Theater an der) an die Wien!

Die Frau: (geh,) Mir is schon (ganz) mies vor (von deinem) »Husarenblut« (der blöden Operette).

Ein Zeitungsausrufer: Vormarsch der Österreicher! Alle Stellungen genohmen!

1. Reporter: Nirgends eine Spur von Beklommenheit und Gedrücktheit, nirgends fahrige Nervosität und von des Gedankens Blässe angekränkelte Sorge. Aber ebensowenig leichtherzige Unterschätzung des Ereignisses oder törichte, gedankenlose Hurrastimmung.

Die Menge: Hurra, a Deitscher! Nieda mit Serbieen!

1. Reporter: Schaun Sie her, südliche Begeisterungsfähigkeit, gelenkt und geregelt von deutschem Ernst. Das beobacht ich für die City. Sie können (ja) für die Leopoldstadt eine aufgeregtere Note wählen.

2. Reporter: Fallt mir nicht ein, ich bin auch mehr für abgeklärtere Stimmungen. »Da und dort sieht man«, wer ich sagen, »einen weißköpfigen Greis, der sinnend entfernter Jugendtage gedenkt, oder ein gebeugtes Mütterchen, das mit zitternder Hand Abschiedsgruß und Segenswunsch winkt. Einer merkt man an, daß sie um einen Sohn oder Gatten bange.« Drehn Sie sich um, da können Sie sehn wie sie winken, sie winken effektiv.

(Ein Trupp Knaben mit Tschako und Holzsäbel zieht vorbei und singt den »Prinz-Eugen-Marsch«:)

Trupp von Knaben (singt): Wer will unter die Soldaten –

der ließ schlagen eine Brucken –

daß man kunt hinüberrucken

Stadtunfestung Belgerad.

1. Reporter: Notieren Sie: »Eine hübsche Genreszene«. Überhaupt müssen wir trachten, möglichst viel vom Volk zu sagen, der Chef hat erst heute geschrieben, »es is die Quelle, in der wir das Gemüt erfrischen.«

Eine Gruppe (singend):
                        Die Russen und die Serben


die hauen wir in Scherben!


Hoch! Nieda! – Schauts die zwa Juden an!

2. Reporter: Sie, ich hab keine Lust mehr, Genreszenen zu beobachten. Soll (Benedikt) er sein Gemüt an der »Quelle erfrischen gehn«, wenn er sich traut. Ich bin lieber weit entfernt –

1. Reporter: »Weit entfernt von Hochmut und von Schwäche«, dieses Wort, das wir für die Grundstimmung Wiens geprägt haben –

(Beide schnell ab.)

(1.1.13)                                                                                                                                                                                                           Poldi Fesch

(Es entsteht eine Bewegung. Ein junger Mann hat einer alten Frau die Handtasche gestohlen. Die Menge nimmt Stellung gegen die Frau.)

Eine weibliche Stimme: Ja meine Liebe, jetzt is Krieg, das is net wie im Frieden, da muß schon jeder was hergeben, mir san in Wien!

Poldi Fesch (zu seinem Begleiter): Gestern hab ich mit dem Sascha Kolowrat gedraht, heut –

(Ab.)

(1.1.14)                                                                                                                                                                        Zwei Verehrer der Reichspost

(Es treten auf zwei Verehrer der Reichspost.)

1. Verehrer der Reichspost: »Kriege sind Prozesse der Läuterung und Reinigung, sind Saatfelder der Tugend und Erwecker der Helden.« – Jetzt sprechen die Waffen!

2. Verehrer der Reichspost: Endlich! Endlich!

1. Verehrer der Reichspost: »Kriege sind ein Segen nicht nur um der Ideale willen, die sie verfechten, sondern auch um der Läuterung willen, die sie dem Volke bringen, das sie im Namen der höchsten Güter führt. Friedenszeiten sind gefährliche Zeiten. Sie bringen allzuleicht Erschlaffung und Veräußerlichung.«

2. Verehrer der Reichspost: Der einzelne Mensch braucht doch halt auch a wengerl Kampf und Sturm.

1. Verehrer der Reichspost: »Besitz, Ruhe, Genuß darf für nichts erachtet werden, wo die Ehre des Vaterlandes alles bedeuten muß. So sei der Krieg, in den unser Vaterland verwickelt wurde – «

2. Verehrer der Reichspost: » – so sei der Krieg, der Sühne für Frevel und Garantien für Ruhe und Ordnung will, mit ganzem Herzen erfaßt und gesegnet.«

1. Verehrer der Reichspost: Auskehrn mit eiserner Faust!

2. Verehrer der Reichspost: In Prag, Brünn und Budweis – überall jubeln s' den kaiserlichen Entschließungen zu.

1. Verehrer der Reichspost: In Serajevo haben s' »Gott erhalte« (die Kaiserhymne) gsungen.

2. Verehrer der Reichspost: In Treue steht Italien Österreich zur Seite.

1. Verehrer der Reichspost: Fürst Alfred Windischgrätz hat sich freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet.

2. Verehrer der Reichspost: Seine Majestät (der Kaiser) hat während des ganzen Tages in angestrengtester Weise gearbeitet.

1. Verehrer der Reichspost: (Gestern) Am 27. zwischen 12 und 1 Uhr wurde im Postsparkassenamt die finanzielle Vorsorge für den Krieg getroffen.

2. Verehrer der Reichspost: Die Approvisionierung (Lebensmittelversorgung) Wiens für die Kriegsdauer wurde vom Bürgermeister (Weiskirchner) gemeinsam mit dem Ministerpräsidenten (Graf Stürgkh) und dem Ackerbauminister (Zenker) gesichert.

1. Verehrer der Reichspost: Hast glesen? (Da:) »Keine Teuerung durch den Krieg.«

2. Verehrer der Reichspost: Das is gscheit!

1. Verehrer der Reichspost: »In unentwegter Treue – «

2. Verehrer der Reichspost: » – huldigen wir unserem geliebten alten Kaiser.«

1. Verehrer der Reichspost: Der (Bürgermeister) Weiskirchner hat gsagt, »meine lieben Wiener, ihr lebt eine große Zeit mit«.

2. Verehrer der Reichspost: Noja, es is keine Kleinigkeit!

1. Verehrer der Reichspost: »Wir gedenken auch des Bundesgenossen in schimmernder Wehr«, hat er gsagt.

2. Verehrer der Reichspost: Die Huldigung der kaisertreuen Bevölkerung habens bereits an den Stufen des allerhöchsten Thrones niederglegt.

1. Verehrer der Reichspost: Am allerhöchsten Hoflager in Ischl.

2. Verehrer der Reichspost: Wirst sehn, der Krieg wird eine Renaissance österreichischen Denkens und Handelns heraufführen, wirst sehn. Ramatama!

1. Verehrer der Reichspost: Höchste Zeit, daß amal a Seelenaufschwung kommt! Rrtsch – obidraht!

2. Verehrer der Reichspost: Ein Stahlbad brauch 'mr! Ein Stahlbad!

1. Verehrer der Reichspost: Bist schon einrückend gmacht?

2. Verehrer der Reichspost: Woher denn, enthoben! Und du?

1. Verehrer der Reichspost: Untauglich.

2. Verehrer der Reichspost: Ein erleichtertes Aufatmen geht durch unsere Bevölkerung! Dieser Krieg –

(Ab.)

(Man hört den Gesang vorbeiziehender Soldaten.)

Soldaten (singen:)                 In der Heimat, in der Heimat,

da gibts ein Wiedersehn –

Nun geht's ans Abschiednehmen,

Wir ziehn hinaus ins Feld.

Wir wollen flott marschieren

Die Waffen mutig führen:

Gloria, Gloria, Gloria Viktoria!

Mit Herz und Hand

Fürs Vaterland, fürs Vaterland! -

Die Vöglein im Walde,

Die singen ja so wunderschön,

In der Heimat, in der Heimat,

Da gibt's ein Wiedersehn.

In der Heimat, in der Heimat,

Da gibt's ein Wiedersehn.

(1.1.15)                                                                                                                                             Zwei Abonnenten der Neuen Freien Presse

Ein alter Abonnent der Neuen Freien Presse (im Gespräch mit dem ältesten): Intressant steht heute im Leitartikel (der Neuen Freien Presse), wie der serbische Hof und wie sie alle aus Belgrad fort müssen.

(Er liest vor.) »Wien ist heute Abend nicht die Stadt gewesen, die vereinsamt dem Hofe, der Regierung und den Truppen keine sichere Stätte geboten hat. Belgrad war es.«

Der älteste Abonnent: Goldene Worte. So etwas tut einem wohl zu hören und man spürt doch bißl eine Genugtuung.

Der alte Abonnent: Allerdings könnte man einwenden, daß Wien momentan von den Serben weiter weg is wie Belgrad von den Österreichern, weil ja Belgrad direkt visavis liegt von (österreichischen) Semlin, während Wien nicht direkt visavis liegt von (serbischen) Belgrad, und weil sie (die Serben am 27. Juli) schon zu schießen anfangen von Semlin (hinüber) auf Belgrad, während sie von Belgrad nicht herüberschießen können gottlob auf Wien.

Der älteste Abonnent: Ich kann Ihrem Gedankengang folgen, aber wohin führt das? Wie immer man die Situation ansieht, muß man zu dem Resultat kommen, daß das was er (Moritz Benedikt) im Leitartikel (der Neuen Freien Presse) sagt, wahr ist. Daß nämlich in Wien der Hof und überhaupt alles bleiben kann wie es ist und in Belgrad nicht. Oder ist es vielleicht nicht wahr? Mir scheint Sie sind etwas ein Skeptiker?

Der alte Abonnent: Was heißt wahr? Es ist geradezu unbestreitbar und noch nie hab ich die Empfindung gehabt, daß er (Benedikt) so recht hat wie er dasmal recht hat. Denn wo er recht hat, hat er recht.

(Sie gehen ab.)

(1.1.16)                                                                                                                                                                                                         Fritz Werner

Ein Zeitungsausrufer: – Lemberg noch in unserem Besitzee!

Vier Burschen und vier Mädchen Arm in Arm

Er ließ schlageen eene Bruckn

daaß man kont hiniebaruckn

Stadtunfestung Belgerad –

Prinz Eugen der edle Ritter,

wollt dem Kaiser wied'rum kriegen

Stadt und Festung Belgerad!

Er ließ schlagen eine Brukken,

daß man kunt hinüberrucken

Stadtunfestung Belgerad.

Die Menge: Hoch!

(Fritz Werner tritt auf und dankt grüßend.)

Fräulein Körmendy: Weißt du was, geh du jetzt zu ihm und bitt ihm.

Fräulein Löwenstamm (nähert sich): Ich bin nämlich eine große Verehrerin und möcht um ein Autogramm...

(Werner zieht einen Notizblock, beschreibt ein Blatt und überreicht es ihr.)

(Ab.)

Fräulein Löwenstamm: So lieb war er.

Fräulein Körmendy: Hat er dich angeschaut? Komm weg aus dem Gedränge, alles wegen dem Krieg. Ich schwärm nur für den (Otto) Storm!

(Ab.)

(1.1.17)                                                                                                                                                                                                                                     Drei Pülcher

1. Pülcher: Serwas Franz, wo gehst denn hin?

2. Pülcher: Auxtrois Franzois.

1. Pülcher: Wohin?

2. Pülcher: Auxtrois Franzois (Zu die Drei Franzosen, das Hutg’schäft in der Krugerstraßen). Dem Hutterer (Hutmacher) die Auslagen einschlagen, wann er die (fremdsprachige) Tafel net weggibt. I hab ein Viechszurn in mir!

1. Pülcher: Hast schon recht, das is ein Schtandal is das.

2. Pülcher: – Wo ich ein (französisches) »Modes« seh, tippel i's eini!

(Geht in Raserei ab.)

1. Pülcher: Serwas Pepi, wo gehst denn hin?

3. Pülcher: I geh ein Scherflein beitragen.

1. Pülcher: A hörst, was du für an Gemeinsinn betätingern tust –

3. Pülcher: Wos? An Gemeinsinn? Du, dös sagst mr riet no amol, mir net – (Haut ihm eine Ohrfeige herunter.)

Rufe aus der Menge: Do schaut's her! Schamen S' Ihna! Wer is denn der? San Sö vielleicht der (russische Oberbefehlshaber) Nikolajewitsch?

Einer aus der Menge: Wos die Leut für an Gemeinsinn betätingern mitten im Krieg, das sollt man wirkli net für möglich haltn!

(1.1.18)                                                                                                                                                                                                                                     Zwei Agenten

(Zwei Agenten (reisende Geschäftsleute) treten auf.)

1. Agent: Also heut zum erstenmal, Sie, »Gold gab ach für Eisen«.

2. Agent: Sie (haben gegeben Gold für Eisen)? Das können Sie wem andern einreden. Sie haben gegeben (Gold für Kriegskosten. Ausgerechnet Sie)! Aufgewachsen –

1. Agent: Wer sagt, ich hab (Gold) gegeben? Verstehn Sie nicht deutsch? Ich seh da drüben den Zettel von der Premier' heut: »Gold gab ich für Eisen« (von Emerich Kalman im Theater an der Wien), ich möcht (gern) gehn.

2. Agent: Gut, geh ich auch! Jetzt is überhaupt am intressantesten. Gestern hat bei der »Csardasfürstin« (im Johann Strauß-Theater) die Gerda Walde (während der Vorstellung) die Extraausgab vorgelesen von die vierzigtausend Russen am Drohtverhau – hätten Sie hören solln den Jubel, zehnmal is wenig, daß sie is gerufen worn (vorn Vorhang).

1. Agent: Warn schon Verwundete??

2. Agent: Auch! Jetzt is überhaupt am intressantesten. Kürzlich is einer neben mir gesessen. Was war da nur? Ja – »Ich hatt einen Kameraden«.

1. Agent: Sie (hatten einen Kameraden)??

2. Agent: Wer sagt, ich? Das is (doch eine Operette) von Viktor Leon!

1. Agent: Guut??

2. Agent: (Gut? –) Bom-ben-erfolg!

Ein Zeitungsausrufer: Belgraad bombadiert –!

(1.1.19)                                                                                                                                                                                                                                     (Jeder Schuss – ein Russ’)

(Burschen (bestimmt und wuchtig):

Hurra, wir zieh’n hinaus in’s Feld

Für unsern Kaiser kämpfen

Und werden stark vor aller Welt

Der Feinde Wahnwitz dämpfen.

Ihr wolltet unsern Kaiser schmäh’n?

Uneinig habt ihr uns geglaubt?

Nein! Einig sieht man Deutschland (Öst’reich) stehn,

Kampfmutig um des Reiches Haupt!

Begeistert alle Deutschen (Wiener) ringen,

und laut hört man den Kampfruf klingen:

|: Jeder Schuss – ein Russ’,

Jeder Stoss – ein Franzos’!

Und die Flotte, die nicht faul,

schlägt den Briten auf das Maul! :|

Hurra, wir zieh’n hinaus in’s Feld

Für Deutschlands (Öst’reichs) Ehre kämpfen

Und werden, wie es uns gefällt,

Mit Englands Hochmut rechten.

Von Freundschaft habt ihr stets geprahlt,

Mit Eurem Maul, so frech und breit,

Jetzt aber wird’s Euch heimgezahlt

In ehrlich starkem Streit.

Begeistert alle Deutschen (Wiener) ringen,

und laut hört man den Kampfruf klingen:

|: Jeder Schuss – ein Russ’,

Jeder Stoss – ein Franzos’!

Und die Flotte, die nicht faul,

schlägt den Briten auf das Maul! :|)

(1.1.20)                                                                                                                                                                                                                                     (Jeder Schuss – ein Russ’)

(Stimme:                 Schleicht da nicht der Moskowiter

Und der General Rennenkampf?

Hindenburg, der edle Ritter,

Schickt ihm deutschen Pulverdampf.

Jeder Schuß Einen Russ’!

Haut die Donkosaken,

Daß die Knochen knacken!

Franzmann will sich mausig machen,

Will durch Belgien über ‘n Rhein,

Hört ihr nicht die Berta krachen?

Ei, sie singt so süß und fein!

Jeder Stoß Ein Franzos’!

Blei und Kugelregen,

Das ist deutscher Segen!

Und John Bull voll Haß und Hader

Hat verschuldet all das Blut.

Achtung, Volldampf das Geschwader!

Deutschland, sei auf deiner Hut!

Jeder Tritt Einen Brit’ !

Rammt ihm seine Schiffe

Auf die Felsenriffe.)

 

(1.1.21)                                                                                                                                                                                                                                     (Lieder)

Die drei Hunde (Melodie: Es gingen drei Jäger wohl auf die Pirsch.)

 

Es liefen drei fremde Hunde herbei.

Sie wollten erjagen den deutschen Leu.

Der russische Bluthund, er heulte auf Mord;

„Ich spring’ an die Gurgel dem Löwen sofort!“

Der französische Windhund, er kläffte zugleich:

„Von rückwärts heran ich leise mich schleich’!“

Der englische Bulldogg zu bellen begann:

„Ich falle ihm in die Flanke sodann!“ –

Da regte der deutsche Leu sich im Busch.

Es rissen die Hunde schnell aus, husch, husch!

Husch, husch, kusch, kusch! Hurra!

 

 

(Nach der Melodie: Deutschland, Deutschland über alles!)

 

Deutschlands Größe voller Hoheit!

Frankreichs Haß und Englands Neid!

Rußlands Schmutz und Belgiens Roheit,

Welsche Hinterlistigkeit!

Japans Schufte, Serbiens Diebe,

Alle geben Fersengeld!

Deutsche Dresche, deutsche Hiebe

Fürchtet jeder in der Welt!

 

 

O Engelland, o Engelland, wie groß sind deine Lügen!

Ist dein Verbrechen noch so groß, du schwindelst dich vom Galgen los.

O Eduard, o Eduard, du Muster aller Fürsten!

Nichts hattest du von einem Rex, du eitler Schlips- und Westenfex.

 

 

Nun hebt sich an die große Schlacht,

Unser Kaiser hat mobil gemacht,

Alle, alle eilen wir zu den Fahnen,

Halten fest und treu am Rhein die Wacht.

Droht der Feind von Norden, Ost und West,

Immer feste dreschen ist das allerbest’.

Jeder Schuß ein Russ’, jeder Stoß ein Franzos’,

Alle Feinde gehen zu schand’,

Sei getrost, mein deutsches Vaterland!

Jeder Tritt ein Brit’, und die Serben müssen sterben.

Alle Feinde gehen zu schand’,

Sei getrost, mein deutsches Vaterland!

 

Da drüben, da drüben liegt der Feind in feigen Schützengräben,

Wir greifen ihn an, und ein Hund, wer meint,

Heut würde Pardon gegeben.

Schlagt alles tot, was um Gnade fleht ,

Schießt alles nieder wie Hunde,

Mehr Feinde! Mehr Feinde! sei euer Gebet in dieser Vergeltungsstunde.

 

(1.1.22)                                                                                                                                                                                                                                     (Lieder)

Eine Frau aus der Menge: Serbien? Wissen S’ was ich mit den Serben machen tät?  Ich würde einmarschieren! Jawohl! Einmarschieren, wie der Prinz Eugen! Zuerst wird Belgrad erobert und dann der schäbige Rest. Weil, so kann das net weitergehn. Wir Österreicher dürfen uns von den Serben nimmer länger papierln lassen. Wir müssen einmarschieren und denen ihren Thronfolger derschiessen. Oder glei’ aufhängen, des wär überhaupt das Beste! Aufhängen und anzünden! Denn wie steht’s schon in der Bibel geschrieben? Aug um Aug, Zahn um Zahn, Thronfolger um Thronfolger!

Ein anderer aus der Menge: Verzeihen, Gnädigste, so steht des aber net in der Bibel.

Frau aus der Menge: Des is’ ma wurscht! Einmarschiert und g’schossen g’hört!