1-17. Szene Wien. In der Kaffeesiedergenossenschaft
Ludwig Riedl, der Besitzer des Café de l’ Europe am
Stephansplatz, war eine stadtbekannte Persönlichkeit und galt als der Mann mit
den meisten Orden Wiens und mit dem längsten Eintrag im Lehmann, dem Wiener
Adressbuch, das alle Titel und Orden genau vermerkte. Von General Auffenberg
bekam Riedl im August 1914 Feldpost, in welcher sich der Gast nach den schönen
Stunden im Café zurücksehnt und sich dafür bedankt. Zu den Gästen zählten
Offiziere, Diplomaten und selbst Angehörige des Kaiserhauses. Das Café war Tag
und Nacht geöffnet, immer bummvoll, zu welcher Tageszeit man es immer betrat,
vor allem in den frühen Morgenstunden beliebt und nach Mitternacht das Zentrum
des Nobelstrichs. An Riedls Wohnhaus in Gersthof befindet sich ein
Büstenrelief, welches den Cafétier zeigt.
Vier Cafetiers (darunter der
Besitzer des Café de l’ Europe am Stephansplatz, Ludwig Riedl,
handelsgerichtich und landesgerichtlich beeideter Sachverständiger und
Schatzmeister für das Kaffeesiedergewerbe, Präsident des Vereines der
Hausbesitzer im 1. Bezirke, kaiserl. persischer, königl. rumänischer, königl.
serbischer u. königl. montenegrischer Hoflieferant, Besitzer des kaiserl.
österr. goldenen Verdienstkreuzes mit der Krone, Ritter des königl. großbrittannischen
Viktoria-Ordens, Ritter des königl.-preußischen Kronen-Ordens, Besitzer der königl. bayrischen Prinz-Regent-Luipold-Medaille in Silber, Ritter des
königl. Ordens der Krone von Italien, Kommandeur des königl. spanischen Ordens »Isabella d. Katholischen«, Besitzer der französischen
Dekoration eines »Officier d’
Académie«, Ritter des königl. Ordens der »Krone von Rumänien«, Besitzer der königl. rumänischen Jubiläums-Medaille
Karol I., Offizier des kaiserl. Ottomanischen Medjidie-Ordens, Besitzer der
kaiserl. ottomanischen Liakat-Medaille in Silber, Offizier des bulgarischen
Alexander-Ordens, Offizier des königl. serbischen Sava-Ordens, Offizier des
königl. montenegrinischen Danilo-Ordens, Besitzer der königl. montegrinischen
Jubiläums-Medaille des Königs Nikolaus I., Offizier des tunesischen Nischan el
Ihftikar-Ordens,
Ritter des päpstlichen Ordens vom heiligen Grabe, Besitzer des päpstlichen
Ehrenkreuzes pro Ecclesia et Pontifice, Kommandeur des liberischen
Ordens (mit dem Sterne), Kommandeur des kaiserl. persischen Sonnen- und
Löwen-Ordens, Besitzer des kaiserl. persischen Ordens l’Instruction publique 1.
Klasse, Besitzer der goldenen Medaille des kaiserl. persischen Sonnen- und
Löwen-Ordens, Besitzer der goldenen Salvator-Medaille der Stadt Wien,
Ehrenbürger der Gemeinde Bergles bei Karlsbad), ein Kellner
Wien. In der
Kaffeesiedergenossenschaft. Vier Cafetiers, darunter Riedl, treten auf. Alle
reden heftig auf ihn ein.
Der Erste Cafetier: Das geht nicht, Riedl, du bist ein Padriot und
schlichter Gewerbsmann, du därfst das nicht – schau, es is ja nur solang
der Krieg dauert, später kriegst es ja eh (alles) wieder zruck.
Der Zweite Cafetier: Riedl, mach mich nicht schiach, du komprimierst den
ganzen Stand (der Wiener Kaffeehausbesitzer), dessen Zierde du heute bist
– du mußt, ob du wüllst oder nicht, du mußt (alles z’ruckgeben, alle
Medaillen und Ehrenzeichen, die dir die feindlichen Regierungen verliehen haben)!
(Der Erste Cafetier: Deine Erscheinung, Riedl, Dein
fesches, ungezwungenes Wiener Wesen, Deine Beliebtheit in allen Kreisen der
Gesellschaft, das alles macht Dich bei festlichen Ereignissen, bei denen unser Bürgertum hervortritt, bei
Bällen in Komitees und Wohltätigkeitsveranstaltungen zu einem unentbehrlichen
Faktor im Leben unserer Wienerstadt, die Dir die Liebe und Zuneigung, die Du
ihr seit Jugendtagen entgegenbringt, zehntausendfach vergilt. Du bist ein
Bürger, auf den seine Vaterstadt wirklich stolz sein kann!)
Der Dritte Cafetier: Loßts 'n gehn, mir folgt er.
Riedl, sei net fad. (Dein Café ist der Treffpunkt der vornehmen Welt, der
Mittelpunkt des Fremdenstroms, der sich durch Wien ergießt. Mag der Fremde in
welchem Hotel immer abgestiegen sein, mag er welcher Nationalität immer
angehören, es ist selbstverständlich, daß er sich bei einem Spaziergang durch
die Stadt auch in Deinem Café einfindet, wo er sicher ist, Menschen aus aller
Herren Länder zu begegnen. Oder gar nach einem Ballfest! Da gibt es keine
Patronesse, keinen eleganten Domino, keinen Kavalier, der einen angebrochenen
Ballabend als abgeschlossen bezeichnen würde, ehe er nicht im Café de l’Europe
gewesen ist. Du hast doch die ganze Nach offen!) Bist du ein Wiener? No
alstern! Bist du ein Deutscher? No alstern!
Riedl: Aber schauts, wie schaut denn das nacher aus im nächsten Lehmann (dem
wichtigen Adressenverzeichnis, wo alles drinsteht, was ich mir hart erarbeitat
hab’) – immer war ich der, der was am meisten Orden im Weichbild Wiens
g'habt hat, so viel wie über mich steht
über keinen drin – (kaiserlich persischer Hoflieferant, königlich
rumänischer Hoflieferant, königlich serbischer und königlich montenegrischer
Hoflieferant, Besitzer des kaiserlich österreichischen goldenen
Verdienstkreuzes mit der Krone, Besitzer der königlich montenegrinischen
Jubiläums-Medaille des russischen Königs Nikolaus I., Kommandeur des
liberischen Ordens mit dem Sterne...)
Der Erste Cafetier: Riedl (Riedl, Riedl, beruhige
dich!), ich kann dir's nachfühlen, daß dir das schwer fallt, aber du mußt ein
Opfer bringen. Riedl, das wär eine Blamage,
das wär geradezu Hochverrat, wo bei dir so viele Schlachtenlenker verkehren und
einer (so)gar Stammgast is!
Der Zweite Cafetier: Schau, (Riedl,) wir alle bringen Opfer in dera großen
Zeit, ich hab sogar den Schwarzen (den
großen Braunen) statt auf vier fufzig bloß auf vier vieravierzig
hinaufgsetzt, a jeder muß heuntigentags sein Scherflein beitragen –
Der Dritte Cafetier: Lächerlich, das kann ich gar nicht
glauben, daß der berühmte Padriot (Ludwig) Riedl, (der Besitzer des Café de l’
Europe), der Obmann (der Kaffeesiedergenossenschaft), der Kommandant von die
Marine-Veteraner (vom Kriegerverein »Tegetthoff«) – hörts mr auf, der
(Admiral) Tegethoff drehert sich im Grab um, wann er das erfahret. Dös glaub i
net! Riedl, du, der einzige von uns, der schon bei Lebzeiten ein Denkmal
hat –
Riedl: Bitte
(sehr) und (noch dazu) eins, was ich mir selber gsetzt hab! Ich bin nämlich ein
Senfmadlmann durch und durch – an meinem eigenen Haus (draußt in
Gersthof), meiner Seel und Gott, jedesmal wann ich z'haus komm, hab ich eine
Freud mit dem schönen Relif (von mir, draußen an der Fassad’. – Da
schaut’s her)!
Der Erste Cafetier: Na alstern, hast du da die Pletschen von unsere Feind
nötig? Alle mußt ablegen Riedl, (alle Medaillen und Ehrenzeichen) alle, selbst
(das) von Montenegro, und sogar den Orden von der Befreiung von der Republik
Liberia!
Riedl: Hörts
auf, den auch? Speziell der (afrikanische) war immer mein Stolz. Schauts, wo
ich aufs Jahr ohnedem mich mit dem Gedanken
trage, (von allen Ämtern) zurückzutreten – nein, es ist unmöglich!
Der Zweite Cafetier: Riedl, du mußt.
Der Dritte Cafetier: Riedl, es bleibt dir nix übrig.
Riedl: Am End den Franzjosefsorden auch?
(Den hab ich doch erst letztes Jahr bekommen! Mit’m Ritterkreuz!)
Der Erste Cafetier: Aber im Gegenteil, den kannst
jetzt im Lehmann (wo das jedermann
nachschlagen kann) fett drucken lassn! (Der Lehmann sagt immer die Wahrheit!
Dort bist Du der bedeutendste Mann von Wien, an den man in Tunis genauso denkt
wie an der afrikanischen Goldküste oder in Persien! So viel Eintragungen wie Du
hat dort doch nicht einmal der Außenminister Berchtold!)
Riedl (kämpft
mit sich, dann mit großem Entschluß): Alstern gut – ich will es tun!
Ich weiß, was ich dem Vaterlande schuldig bin. Ich verzichte ... auf die
Ehrungen, die mir die feindlichen Regierungen erwiesen haben, die Saubeuteln!
Ich würde nicht einmal das Geld für den Klumpert zrucknehmen!
Alle (durcheinander):
Hoch Riedl! – Das is halt doch unser Riedl! – Es lebe die
Wienerstadt und unser Riedl! – Der Stephansturm soll leben und unser
Riedl daneben! – Gott strafe England! – Er strafe es! –
Nieder mit Montenegro! – Schmeiß'n weg! – Der Riedl is der größte
Padriot!
Riedl (sich
die Stirn wischend): Ich danke euch – ich danke euch – gleich
telephonier ich zhaus, daß sie's zum Roten Kreuz hintragen. Morgen werds ihr
schon lesen können – (er wird nachdenklich) Hier steh ich, ein
entleibter Stamm.
Der Zweite Cafetier: Schauts, wie gebildet der Riedl is, jetzt redt er sogar
schon klassisch.
Riedl: Das is
nicht klassisch, das sagt immer der Doktor vom Exrablatt, wenn er im
(Kartenspielen) Angehn verliert. Jetzt – (gebrochen) verlier ich!
Der Dritte Cafetier: Nicht traurig sein, Riedl! Nicht traurig sein! Was d'
jetzt hergibst, später kriegst es doppelt und dreifach wieder herein. Und
vielleicht früher, als wie du glaubst.
(Der Erste Cafetier: Sag’ mir, lieber Riedl, was
bist Du eigentlich für ein Landsmann? Wir kennen uns jetzt schon so lange Zeit,
und noch immer bin ich mir darüber nicht im klaren.
Riedl: Rate.
Der Erste Cafetier: Vermutlich ein Wiener!
Riedl: Nein!
Der Zweite Cafetier: Also ein Böhme?
Riedl: Nein!
Der Dritte Cafetier: Ein Pole?
Riedl: Nein!
Der Erste Cafetier: Ein Steirer? Ein Salzburger?
Ein Tiroler?
Riedl: Nein! Nein! Nein! Nein! Nein!
Der Zweite Cafetier: Riedl! – Dann
bist Du also ein Ausländer?
Riedl: Auch nicht.
Der Zweite Cafetier: No was dann?
Riedl: Ich bin ein Österreicher! Daß ich in Wien
geboren bin, macht mich glücklich, daß ich ein Österreicher bin, macht mich
stolz.
Die drei Cafetiers: Bravo! Bravo!! Hoch Riedl! Der
Riedl ist der Beste!)
(Ein Kellner stürzt in das Zimmer.)
Der Kellner:
Herr von Riedl, Herr von Riedl, eine Karten is kommen, d' Fräuln Anna hat
g'sagt, ich soll laufen – das is großartig – das ganze Lokal is in
Aufregung –
Riedl: Gib her,
was is denn – (liest, vor freudigem Schreck zitternd) Meine Herrn
– in dieser Stunde – es – is ein historischer Augenblick
– ich hab als Padriot und schlichter Gewerbsmann, wo ich von meinen
Mitbürgern zahllose ehrende Beweise ihrer Anhänglichkeit – indem ich als
Obmann – aber so etwas – nein – schauts her –
Alle Cafetiers:
Ja, was is denn?
Riedl: Mein
glorreichster Stammgast – unser erstklassigster Schlachtenlenker (General Moritz von Auffenberg, der Sieger
der Schlacht von Komarów) – hat – während der Schlacht –
an – mich – gedacht! Halts mich! Das muß ich (sofort) – dem
– Extrablatt – (mitteilen, dass es hineingeben in die morgige
Ausgab’ – sofort – stantepe –)
(Alle halten ihn und lesen.)
Der Erste Cafetier: No geh, ich hab weiß Gott was glaubt. Was der für
G'schichten macht! (Tu Dir was an!) Ich hab gestern (auch) eine Karten
(kriegt,) vom (General) Brudermann
kriegt – (zieht sie aus der Tasche).
Riedl: Hör auf,
das is mir peinlich –
Der Zweite Cafetier: No hörts, was is denn da dabei, ihr seids ja narrisch
– mich touchiert so etwas (überhaupt) nicht. Ich hab nämlich vorgestern
vom (General) Pflanzer-Baltin (– eine Karten kriegt – da
schaut’s her) – (zieht sie aus der Tasche.)
Der Dritte Cafetier: Ihr bildts euch alle an Patzen ein. Ich hab zufällig
schon vorige Wochen vom (General) Dankl (eine persönliche Feldpostkarten
kriegt) – (zieht sie aus der Tasche) –
Alle drei Cafetiers
(lesen gleichzeitig vor): »In dieser Stunde, in der ich sonst in Ihren mir
so trauten Räumen (ihres Kaffeehauses) saß, denke ich an Sie und Ihr Personal
und sende Ihnen herzliche Grüße aus fernem Feldlager.
Dankl-Pflanzer-Brudermann.«
Riedl (ausbrechend):
Das gibts nicht! Das is ein Plagat! Ein Plagat is das! A Schwindel! Ihr seids
Flohbeutln gegen mich. Ich laß mir das net gfallen! (So eine Frechheit!)
Vorläufig hab ich noch kan Orden zruckg'Iegt, fallt mr gar net ein, und wenn
mir der (General) Auffenberg das
nicht sofort aufklärt – behalt ich sie alle! (Alle!!!)
(Riedl: Worum geht’s denn jetzt? Da bin
ich, no seht ihr?
Ich
bin es persönlich, ich bin das Kaffeetier!
Ich kenn’ keinen stolz und bin
auch nicht eitel.
Ich bin der Herr Riedl, aber
nicht der mit’n Beutel.
Das
bin ich aus eigener Kraft geworden.
So
stehe ich da mit mehreren Orden.
Ich
flüstere bebend: »Verehrtes Haus,
Machen
Sie sich doch nichts daraus
Aus
Ihren Orden. Denn wissen Sie,
Nach
dem Krieg kommt bestimmt eine Amnestie!«
Auf solchem Weg erschwert dir
nun den Schritt
der Nachbar, der sich dir wie
eine Mehlspeis
serviert, auch wenn du keinen
Appetit hast,
aus Mehl und Wasser eine
Spottgeburt.
Die Sorte ist Melange aus Jud
und Christ;
noch mehr Persönlichkeit hat
die Melange:
mehr Haut, mehr Gold; mehr
licht, mehr dunkel.
Schale, Teeschale, Nuß und
Glas, weiß, braun und Cappucino,
verkehrt und obersgspritzt und
Doppelschlag.
Dem unterwarf sich die
Bevölkerung,
in »Schlag-« und »Hautesser«
teilt man sie ein.
Willst aber selbst du essen,
dann bedauert
der, der dir dienen soll, daß
er dir »nicht mehr dienen« kann,
und streicht vor deinen Augen
die Speisen alle, die du schon
geschmeckt hast!
Nicht vorher wußt' er's? und er
mußte warten,
bis du mit deinem Wunsche ihn
gemahnt hast?
Dann fragen zehn Verschiedene
nacheinander,
ob du denn »schon befohlen«
hast, »bittee?».
Es gibt nur Linzer, Sacher,
Wienertascherln,
Powidltatschkerln und
Engländer,
Gott strafe England, und du
hilf dem Wirt,
die alte Anisscharte
auszuwetzen.
Vielleicht ist aber
aufmerksamer Weise
für dich das
Protektionsportionderl
der weltbekannten Spezialität
der Zeppezauerschnitte
reserviert.
Hast du gegessen, willst du
dafür zahlen.
So rufen sie dir selbst und
dann einander
das Wort zu: »Zahlen!«,
»Zahlen!!«, »Zahlen!!!«,
keiner aber hörts. Der Mann,
den du bezahlst,
weil du ihm zahlst, ist tief
beleidigt, kommt nicht,
tötet sich vermutlich in der
Küche. Einer ruft
dir plötzlich das Memento:
»Sosss bittee!«
Du weißt nicht, was es soll
bedeuten, willst
verzweifeln, da gewahrst du,
wie ein bleicher
käsweißer Mann, der Todesengel
ist es,
durch dieses Wirrsal schreitet
und auf dich
zukommt, denn der Augenblick
ist da, dich,
dem der Lebensmut schon sank,
zu grüßen.
Es gibt noch Grüßer. Nein, es
gibt nur Grüßer.)
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