1-19. Szene                                                                                                                                                                                           Kriegsfürsorgeamt

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(Anm. Angesichts derartiger Aufgaben musste es Hofmannsthal sehr unangenehm sein, dass der Journalist Hermann Bahr, mit dem er seit 1905 entzweit gewesen war, in der Euphorie des sogenannten »Augusterlebnisses« in mehreren Zeitungen einen »Gruß an Hofmannsthal« publizierte. Bahr imaginiert in diesem offenen Brief Hofmannsthals Glück, an der Front mit dabei sein zu dürfen. Hofmannsthal antwortete gequält und beschönigend – er sei wegen einer Augenschwäche aus der Armee ausgetreten – erst drei Wochen später - Vor allem der berüchtigte „Gruß an Hofmannsthal“, ein vom Bahr im August 1914 veröffentlichter offener Brief an den Freund, lässt einen solchen Verdacht aufkommen: Bahr ging in diesem Text davon aus, dass Hofmannsthal „in Waffen“ sei und bald in Warschau ankommen müsste, dass er dort Leopold von Andrian treffen könnte, dass dieser, „während draußen die Trommeln schlagen“, Charles Baudelaire deklamiere, und die beiden, mitten in der kriegerischen Aufregung, ganz froh sein würden: „Es geht euch ja so gut, es muß einem ja doch schrecklich viel einfallen, nicht?“

Der Dichter Hugo von Hofmannsthal, ein Zyniker, der Schriftsteller und Generalkonsul in Warschau Leopold von Andrian (Poldi)

Hugo v. Hofmannsthal (blickt in eine Zeitung): Ah, ein offener Brief an mich? – Das is lieb vom Bahr, daß er in dieser grauslichen Zeit nicht auf mich vergessen hat! (Er liest vor.)

»Gruß an Hofmannsthal. Ich weiß nur, daß Sie in Waffen sind, lieber Hugo, doch niemand kann mir sagen, wo. So will ich Ihnen durch die Zeitung schreiben. Vielleicht weht's der liebe Wind an Ihr Wachtfeuer und grüßt Sie schön von mit –« (Er bricht die Vorlesung ab.)

Ein Zyniker: No – lies nur weiter! Schön schreibt er der Bahr!

Hofmannsthal (zerknüllt die Zeitung): Der Bahr is doch grauslich –

Der Zyniker: Was hast denn? (Nimmt die Zeitung und liest bruchstückweise vor)

»(Mir fällt ein, daß wir uns eigentlich niemals näher waren , als da Sie Ihr Jahr bei den Dragonern machten. Erinnern Sie sich noch? Sie holten mich gern abends ab und wir gingen zusammen und ich weiß noch, wie seltsam es mir oft war, wenn wir im Gespräch immer höher in die Höhe stiegen, über alte Höhen uns verstiegen, und dann mein Blick, zurückkehrend, wieder auf Ihre Uniform fiel; sie paßte nicht recht zu den gar nicht uniformen Gedanken. Im Oktober werden's zwanzig Jahre! Seitdem ist man »berühmt« geworden, es hat uns an nichts gefehlt , aber wer wagt zu sagen, daß diese zwanzig Jahre gut für uns waren? Wie sind sie jetzt plötzlich so blaß geworden in diesem heiligen Augenblick! Es war eine Zeit der Trennung, der Entfernung, der Vereinsamung; jeder ging vom anderen weg, jeder stand für sich, nur für sich allein, da froren wir. Jetzt hat es uns wieder zusammengeblasen, alle stehen für einander, da haben wir warm.)

Jeder Deutsche, daheim oder im Feld, trägt jetzt die Uniform. Das ist das ungeheure Glück dieses Augenblicks. Mög es uns Gott erhalten! – (Und nun ist auf einmal auch alles weg, was uns zur Seite trieb. Nun sind wir alle wieder auf der einen großen deutschen Straße.) Es ist der alte Weg, den schon das Nibelungenlied ging, und Minnesang und Meistersang, unsere Mystik und unser deutsches Barock, Klopstock und Herder, Goethe und Schiller, Kant und Fichte, Bach, Beethoven, (und) Wagner. (Dann aber hatten wir uns vergangen, auf manchem Pfad ins Verzwickte. Jetzt hat uns das große Schicksal wieder auf den rechten Weg gebracht. Das wollen wir uns aber verdienen.) – Glückauf, lieber Leutnant –

Hofmannsthal: Hör auf!

Der Zyniker (liest):

»Ich weiß, Sie sind froh. Sie fühlen das Glück, dabei zu sein. Es gibt kein größeres.«

Hofmannsthal: Du, wenn du jetzt nicht aufhörst –

Der Zyniker (liest):

»Und das wollen wir uns jetzt merken für alle Zeit: es gilt, dabei zu sein. Und wollen dafür sorgen, daß wir hinfort immer etwas haben sollen, wobei man sein kann. Dann wären wir am Ziel des deutschen Wegs, und Minnesang und Meistersang, Herr Walter von der Vogelweide und Hans Sachs, Eckhart und Tauler, Mystik und Barock, Klopstock und Herder, Goethe und Schiller, Kant und Fichte, Beethoven und Wagner wären dann erfüllt. –« Wie hängen denn die mit dir zusammen? Ah, er meint vielleicht, daß sie enthoben sind. »Und das hat unserem armen Geschlecht der große Gott beschert!« Gott sei Dank! – (liest) »Nun müßt ihr aber doch bald in Warschau sein!«

Hofmannsthal: Aufhören!!

Der Zyniker: »Da gehen Sie nur gleich auf unser Konsulat und fragen nach, ob der österreichisch-ungarische Generalkonsul noch dort ist: Leopold Andrian.«

(Er bekommt einen Lachkrampf.)

Hofmannsthal: Was lachst denn?

Der Zyniker: Der is wahrscheinlich nach Kriegsausbruch in Warschau geblieben, um den einziehenden Truppen das Paßvisum auszustellen – das is ja im Krieg unerläßlich – sonst können s' nicht nach Rußland! (liest)

»(Das ist nun auch gerade zwanzig Jahre her, daß Andrian den »Garten der Erkenntnis« schrieb, diese stärkste Verheißung. Er wird sie schon noch halten, mir ist nicht bang: ein Buch mit zwanzig, eins mit vierzig, eins mit sechzig Jahren, weiter nichts, in jedem aber volle zwanzig Jahre drin, dann wird er der Dichter der drei Bücher sein, das ist auch ganz genug. Und wenn ihr so vergnügt beisammen seid, und während draußen die Trommeln schlagen, der Poldi durchs Zimmer stapft und mit seiner heißen dunklen Stimme Baudelaire deklamiert, vergeßt mich nicht, ich denk an euch!)

Und wenn ihr so vergnügt beisammen seid, und während draußen die Trommeln schlagen, der Poldi durchs Zimmer stapft und mit seiner heißen dunklen Stimme Baudelaire deklamiert, vergeßt mich nicht, ich denk an euch! Es geht euch ja so gut – «)

Hofmannsthal: Hör auf!

Der Zyniker: » – und es muß einem ja da doch auch schrecklich viel einfallen, nicht? – « Was dem alles einfallt! (»Auf Wiedersehen! Bayreuth, 16. August 1914. Hermann Bahr.«)

Hofmannsthal: Laß mich in Ruh!

Der Zyniker: Du kommst doch sowieso bald nach Warschau? Auf Propaganda, mein' ich oder so. Wirst wieder deinen Hindenburg-Vortrag halten?

Hofmannsthal: Ich sag dir, laß mich in Ruh –

Der Zyniker: Du, eine Kälten hats heut wieder – ich muß doch läuten, daß er das Wachtfeuer nachlegen kommt.

Hofmannsthal: Also das is eine Gemeinheit – du – pflanz wen andern, laß mich arbeiten!

(Der Poldi tritt ein.)

Der Poldi (heiße, dunkle Stimme): Gu'n Tog, du Hugerl weißt nix vom Bohr?

(Hofmannsthal hält sich die Ohren zu.)

Der Zyniker: Habe die Ehre, Herr Baron, Sie kommen wie gerufen.

Der Poldi: Du Hugerl, is wohr, daß der Bohr in dem Johr noch nicht do wor oder is er gor eingrückt?

Der Zyniker: Was, der auch?

Hofmannsthal: Du der Mensch is zu grauslich – komm, gehn wir da hinein –

Der Poldi: Du Hugerl, der Baudelaire is ganz gscheidt, ich trog dir ein poor Sochen vor.

Hofmannsthal: Und ich zeig dir meinen Prinz Eugen!

Der Poldi: Wunderbor!