2-10. Szene                                                                                                                                                                                    Optimist & Nörgler (6)

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Optimist, Nörgler, Gruppe junger singender Burschen mit Lampions / Vorbeiziehende einrückende Rekruten die graue Bärte haben

Der Optimist und der Nörgler im Gespräch.

Der Optimist: Das kann ich wirklich mit ruhigem Gewissen behaupten, ich habe seit der Kriegserklärung noch keinen jungen Menschen in Wien getroffen, der noch da war und wenn er noch da war, der nicht vor Ungeduld gefiebert hätte, nicht mehr da zu sein.

Der Nörgler: Ich komme so wenig unter Leute. Aber ich habe ein Gesellschaftstelephon. Da habe ich schon im Frieden mühelos und ohne erst auf die schwarze Scheibe hauen zu müssen, Gespräche des Bezirks, über eine geplante Poker-Partie, über ein vorgehabtes Geschäft und über einen angestrebten Koitus hören können. Meine einzigen Verbindungen mit der Außenwelt sind die falschen. Seitdem der Weltkrieg ausgebrochen ist und das vaterländische Telephon dadurch keineswegs verbessert wurde, drehen sich die Gespräche um ein weiteres Problem und ich kann tagtäglich, so oft ich ans Telephon gerufen werde, um andere Leute miteinander sprechen zu hören, also mindestens zehnmal täglich Gespräche hören wie die:

»Der Gustl is hinaufgegangen und hat sichs gerichtet.« »Wie gehts denn dem Rudi?« »Der Rudi is auch hinaufgegangen und hat sichs auch gerichtet.« »Und der Pepi? Is der am End schon im Feld?« »Der Pepi hat einen Hexenschuß. Aber sobald er aufstehn kann, wird er hinaufgehn und sichs richten.«

Der Optimist: Seien Sie vorsichtig.

Der Nörgler: Warum? Ich würde es beweisen können. Es gibt noch Richter in Österreich.

Der Optimist: Von Ihrem Standpunkt müßten Sie ja die Befreiung jedes einzelnen begrüßen.

Der Nörgler: Jawohl, jedes einzelnen. Ich stehe auf meinem Standpunkt. Aber das Vaterland steht nicht auf meinem Standpunkt, und jene, die ausgenommen sein wollen, bekennen sich zum Standpunkt des Vaterlands und nicht zu dem meinigen. Wenn ich den Zwang zum Tode für eine Schmach halte, so halte ich die Protektion vor dem Tode für einen Zustand, der die Schmach bis zu dem Gefühl verschärft, daß man hierzulande nur als Selbstmörder weiterleben kann. Es ist das letzte Freiwilligenrecht gegenüber der allgemeinen Wehrpflicht.

Der Optimist: Aber Ausnahmen muß es schließlich geben. Zum Beispiel die Literatur. Das Vaterland braucht nicht nur Soldaten –

Der Nörgler: – sondern auch Lyriker, die ihnen den Mut machen, den sie selbst nicht haben.

Der Optimist: Die Dichter sind aber mit dem höheren Zweck entschieden gewachsen. Sie können unmöglich leugnen, daß der Krieg auch sie gestählt hat.

Der Nörgler: (Bei) Den meisten hat er die Gewinnsucht mobilisiert, (bei) den paar Charaktervollen nur die Dummheit.

Der Optimist: Ein Mann wie (der Schriftsteller) Richard Dehmel, (meldete sich 1914 freiwillig zum Wehrdienst, schrieb Kriegsgedichte) der selbst eingerückt ist, hat ein Beispiel gegeben –

Der Nörgler: – das er durch seine Kriegslyrik entwertet hat. Er nannte das Geräusch der Maschinengewehre »Sphärenmusik« und stellte jene Kreatur, die der allgemeinen Wehrpflicht noch wehrloser gegenübersteht als der Mensch, unter den Begriff des »Vaterlandes«, für dessen unheilige Sache er die »deutschen Pferde« reklamiert hat.

(Was sagt man heute zu den Ausbrüchen eines Richard Dehmel, aus der Zeit, da

»aus Schleswig und Elsaß, Tirol, Mähren, Krain —

nur Deutscher wollt' endlich jeder sein – «

die Bruderscharen kamen »gegen russischen, welschen, britischen Neid gefahren«.

»Und was kommt hinterdrein noch getönt,

was stampft so eisern die Erde,

daß uns die Wand des Herzens dröhnt?

Das waren die deutschen Pferde.

Mit witternden Nüstern auf der Wacht

trugen auch sie ihr Blut zur Schlacht

für Deutschlands Ehre und Recht und Macht —

in den Dörfern tobten die Hunde;

auch unsere Tiere spürten den Ernst

der großen Gottesstunde.«)

Der Optimist: Ja, in solchen Zeiten sind eben alle Dichter fortgerissen –

Der Nörgler: – der Tat jener, die die Schöpfung schänden, das Wort zu leihen.

Der Optimist: Blicken Sie auf (Ottokar) Kernstock –

Der Nörgler: Nicht gern.

Der Optimist: Ein Dichter christlicher Milde, in seinem Beruf sogar ein Geistlicher.

Der Nörgler: Ja, das gebe ich zu, der ist außerordentlich gestählt worden. Ich denke vor allem an die Verse, in denen er seine »Steirerbuam« auffordert, aus »Welschlandfrüchtchen blutroten Wein« zu pressen.

Der Optimist: Oder denken Sie an den Bruder Willram –

Der Nörgler: Leider läßt mich mein Gedächtnis nicht im Stich. Das ist doch der christliche Dichter, (der »Besinger der Leichenhaufen«,) dem Blut »ein rotes Blühn« ist und der von einem »Blutfrühling« träumt.

(Und schütten Blut und Feuer

und hageln Eisensaat

Auf's gift'ge Ungeheuer

Voll Meineid und Verrat --

Und säubern deutsche Erde

Von welscher Niedertracht

Und hüten unsre Herde:

Die Dolomitenwacht!)

(Oder) Sie spielen vielleicht auf die Weisung dieses Seelsorgers an, die da lautet: »Im Kampf mit Drachen und Molchen die stinkende Brut erdolchen?« Oder: »Die Feinde dreschen nach Herzenslust und jedem das schrille Blei in die Brust?«

Der Optimist: Nein, ich meine seinen Ausruf: »Zum Freiwild ist geworden der feige welsche Wicht.« Oder die Verse, in denen sein Schlachtroß laut wiehert und »schnaubt voll edlen Muts« und trägt ihn »in der Feinde Troß durch Bäche roten Bluts«.

Der Nörgler: Aber die Kavallerie ist doch schon abgesessen und selbst der Einspänner (die Kutsche) von der Innsbrucker Weinstube nachhaus ist heute unerschwinglich.

Der Optimist: Unterschätzen Sie nicht die Kraft dichterischer Illusion, zumal in dem Gedicht, worin er den Herrgott bittet, die Feinde so zu segnen, daß selbst dem Teufel graust, wenn wir uns baden im Blute.

Der Nörgler: Und was tut der Teufel? Ihm grausts umsomehr, je weniger es dem Priester graust.

Der Optimist: Oder blicken wir auf (Felix) Dörmann.

Der Nörgler: Der ist doch kein Priester.

Der Optimist: Aber ein Dichter! Wie standen wir seinerzeit im Bann seiner Worte: »lch liebe die hektischen schlanken (Narzissen mit blutrothem Mund; Ich liebe die Qualengedanken, Die Herzen zerstochen und wund)«! Jetzt, um fünfundzwanzig Jahre älter geworden, hat er sich aus einer anämischen Geschmacksrichtung, die wir gottseidank alle überwunden haben, zu einer blutlebendigeren Auffassung –

Der Nörgler: Sie vergessen, daß schon die hektischen schlanken Narzissen (schon damals) einen »blutroten Mund« hatten.

Der Optimist: Trotzdem. Was ist das im Vergleich zu den Versen, mit denen er (Felix Dörrmann) jetzt alle fortreißt: »Die Russen und die Serben, die hauen wir zu Scherben!« Wie hat der sich aufgerafft, zu welcher Entschlossenheit und Kraftfülle ist dieser einst dekadente Lyriker emporgediehen. Wie groß muß die Wirkung dieser Gegenwart sein, daß sie einen amourösen Liebling der Grazien so verwandeln, zu solcher Unerbittlichkeit des Fühlens, zu solcher Tatkraft des Vollbringens befähigen konnte?

Der Nörgler: Es ist über ihn gekommen.

Der Optimist: Und Sie werden auch den Vorteil, den die Einstellung der literarischen Produktion auf die Bedürfnisse des Vaterlands sowohl für dieses wie last not least für den Betreffenden selbst hat, nicht leugnen können. Dazu kommt, daß in einer Zeit, in der jeder seine Pflicht gegen das Vaterland erfüllt, auch das Vaterland Gelegenheit hat, sich der Pflicht gegen seine besten Söhne zu erinnern.

Ich denke da vor allem an einen Mann wie (Franz) Lehar. Es hat sich einfach von selbst verstanden, daß der Schöpfer des (klangvollen) Nechledil-Marsches, (der ausging, Symphonien zu suchen und »Die lustige Witwe« fand) von jeder Kriegsdienstleistung (noch dazu »auf Kriegsdauer«) befreit blieb.

Der Nörgler: Beethoven hätte wegen Schwerhörigkeit einen C-Befund (also die Befreiung vom Kriegsdienst und den Einsatz in Schreibstuben) gekriegt und infolgedessen bloß bei Mullatschaks in Offiziersmessen Klavier spielen müssen. Welche Vertreter der Malerei und der Literatur würden Ihnen ähnlich berücksichtigenswert erscheinen?

Der Optimist: Ich denke an (Fritz) Schönpflug, den Zeichner so vieler lustiger Militärtypen, und an Hans Müller, dessen sonnige Feuilletons eine wahre Herzstärkung sind und so viel zum Durchhalten beigetragen haben.

Der Nörgler: Auch mich sollte es baß verwundern, wenn ein Dichter (wie Müller), den (sogar) Wilhelm II. (vor kurzem) in der Wiener Hofburg empfangen hat, die daraufhin noch nicht geschlossen wurde, nicht eines Tages von dem aufreibenden Dienst im k. u. k. Kriegsarchiv (in dem er jetzt arbeitet) befreit würde.

Der Optimist: Da haben Sie ganz recht. Solche Männer erbringen ja durch ihr eigenes Schaffen die erfreulichsten Beweise für ihre Unentbehrlichkeit. Aber daneben muß es auch Kriegsschilderer und Kriegsberichterstatter geben; sie sind vom Frontdienst befreit, um –

Der Nörgler: – den andern darauf Gusto zu machen.

Der Optimist: Sie bewähren sich in ihrer Art so gut wie die Militärärzte, die –

Der Nörgler: – umso untauglicher sind, je mehr Leute sie für tauglich erklären, und umso sicherer ihr Leben behalten –

Der Optimist: – je mehr Verwundeten sie es wiedergeben –

Der Nörgler: – damit diese es verlieren können. Während wieder die Auditoren (Militärstaatsanwälte) es umso sicherer behalten, je mehr Gesunden sie es nehmen.

Der Optimist: Man darf nicht generalisieren.

Der Nörgler: Man darf alles, nur nicht das.

Der Optimist: Das Vaterland braucht Soldaten, aber auch Kriegsberichterstatter. Es ist doch Krieg, und so müssen sie es uns sagen.

Der Nörgler:
 (spricht sein Gedicht »Kriegsberichterstatter«)

Wie? Es ist Krieg? Wir wissen es von solchen,


die noch ihr dreckiges Ich haben, das erzählt,


in welcher Stimmung sie den Krieg besichtigt?


Ein Schlachtroß fänd' es unter seiner Würde


mit seinem linken Hinterhuf die Krummnas'


von sich zu stoßen, und die oben sitzen,


empfangen sie, und stehn ihr Red' und Antwort,


verköstigen an ihrem eigenen Tisch


den Auswurf? Wie, war das Ereignis denn


nicht stark genug, den innern Feind zu schlagen?


Er dringt zur Front, macht sich ums Blatt verdient?


Stellt uns den Krieg vor, stellt sich vor den Krieg?


Er wird nicht untergehn? Er lebt? Er dient nicht?


Nicht exerzieren müssen die Gemeinen?


Ist es ein Krieg? Ich denk', es ist der Friede.


Die Bessern gehen und die Schlechtern bleiben.


Nicht sterben müssen sie. Sie können schreiben.

(Ein Zug von Rekruten, die graue Bärte haben, geht vorbei.)

Der Optimist: Sehn Sie, die rücken ein.

Der Nörgler: Und dennoch sind sie nicht Einrückende.

Der Optimist: Sondern?

Der Nörgler: »Einrückend gemachte«, wie sie mit Recht heißen. Das Partizipium der Gegenwart allein würde noch eine Willenstätigkeit bekunden und darum muß schon ein Partizip der Vergangenheit dabei sein. Es sind also »einrückend Gemachte«. Bald werden sie einrückend gemacht sein.

Der Optimist: Nun ja, sie müssen in den Krieg ziehen.

Der Nörgler: Ganz richtig, sie müssen, die allgemeine Wehrpflicht hat aus der Menschheit ein Passivum gemacht. Einst zog man in den Krieg, jetzt wird man in den Krieg gezogen. Nur in Deutschland ist man schon darüber hinaus.

Der Optimist: Wie das?

Der Nörgler: In Karlsruhe habe ich ein großes Plakat gelesen: Macht Soldaten frei! Und sogar am Tor des Oberkommandos.

Der Optimist: Wie ist das möglich, das ist doch Revolution, wie kann das Oberkommando in Karlsruhe –

Der Nörgler: Ja, es werden nämlich Schreiber für die Kanzlei gesucht und es wird gewünscht, daß sich Zivilisten melden, damit Soldaten, die noch in der Kanzlei arbeiten, für die Front frei werden. Also: »Macht Soldaten frei!« Bei uns würde man auch da sagen: »Macht Soldaten einrückend«, worin ja hinreichend Willensfreiheit wäre. Ich glaube aber, daß das deutsche Plakat seine Wirkung unter allen Umständen erreicht. Denn wenn es seine Wirkung auch nicht erreicht, so weiß die deutsche Militärverwaltung doch dafür zu sorgen, daß die vakanten Schreiberposten besetzt werden. Ein Mangel an Bewerbern könnte nur eintreten, wenn bereits alle Soldaten, die dafür in Betracht kommen, freie Soldaten geworden sind.

Der Optimist: Ihre Nörgelei macht nicht einmal vor einer Verlautbarung des Oberkommandos in Karlsruhe Halt.

Der Nörgler: Ich habe übrigens noch eine andere draußen gesehn. In einem Polizeiamt hängt ein Plakat, dessen Text mir ins Ohr gegangen ist. Er lautet:


»Haut die Schufte, haut die Bande,


Werft sie bis zu Ätnas Rande,


Füllt sie in Vesuvens Rachen!


Haut sie, daß die Schwarten krachen!


Haut sie, daß sie nur so glotzen,


Haut sie, bis sie Lumpen kotzen!


Streicht Pardon aus eueren Herzen,


Um das Trugvolk auszumerzen!


Füllt mit Dynamit die Täler,


Rottet aus die Heuchler, Hehler,


Jedem schlagt den Schädel ein


Und seid stolz, »Barbar« zu sein!«

Der Optimist: So etwas wäre auch bei den anderen Nationen möglich.

Der Nörgler: Man darf nicht generalisieren. Aber Sie könnten recht haben. Es wäre sogar bei den Engländern möglich, wenn sie noch ein paar Jahre allgemeine Wehrpflicht haben. Daß die Täler dazu da sind, um mit Dynamit gefüllt zu werden, wird allmählich allen Völkern einleuchten. Nur die eine Zeile: Haut sie, bis sie Lumpen. kotzen – die, sehn Sie, hat Landesfarbe.

Der Optimist: Eine Roheit, was weiter. Man darf nicht generalisieren.

Der Nörgler: Gewiß nicht, es wäre bei den weißen wie bei den farbigen Engländern unmöglich.

Der Optimist: Es ist auch in Deutschland ein Einzelfall.

Der Nörgler: Der aber nur in Deutschland möglich ist. Und der Kerl, der es verfaßt hat, sitzt in einem Büro und erschrickt, wenn ein Papiersack explodiert.

Der Optimist: Nun, eben –

Der Nörgler: Und derselbe Kerl ist, wenn er hinauskommt, ein passionierter Mörder, dreht einem Sterbenden das Messer im Leib um, würde es stolz erzählen, wenn er daheim ist, und wieder erschrecken, wenn ein Papiersack(erl) explodiert.

Der Optimist: Ich verstehe Sie nicht. Es gibt gute und böse Menschen im Krieg. Sie sagen doch selbst, daß er nur die Kontraste vergrößert hat.

Der Nörgler: Gewiß, auch den zwischen mir und Ihnen. Sie waren schon im Frieden ein Optimist und jetzt –

Der Optimist: Sie waren schon im Frieden ein Nörgler und jetzt –

Der Nörgler: Jetzt geb' ich sogar der Phrase die Blutschuld.

Der Optimist: Ja, warum sollte der Krieg Sie von Ihrer fixen Idee befreit haben?

Der Nörgler: Ganz richtig, er hat mich sogar darin bestärkt. Ich bin mit dem höheren Zweck kleinlicher geworden. Ich sehe einrückend Gemachte und spüre, daß es gegen die Sprache geht. An Drahtverhauen hängen die blutigen Reste der Natur.

Der Optimist: Wirklich also, mit Grammatik wollen Sie den Krieg führen?

Der Nörgler: Das ist ein Irrtum, mich interessiert kein Reglement, nur der lebendige Sinn des Ganzen. Im Krieg gehts um Leben und Tod der Sprache. Wissen Sie, was geschehen ist? Schilder und Schilde sind nicht mehr zu unterscheiden und alle, die nur ein Schild und einen Verdienst gehabt haben, werden dereinst ein Verdienst und einen Schild haben. So mischen sich die Sphären und die neue Welt ist blutiger als die alte, weil sie den furchtbaren neuen Sinn furchtbarer macht durch die alten Formen, denen sie geistig nicht entwachsen konnte. Fibel und Flammenwerfer! Panier und Papier! Weil wir zum Schwert greifen, mußten wir zur Gasbombe greifen. Und wir führen diesen Kampf bis aufs Messer.

Der Optimist: Das ist mir zu hoch. Bleiben wir hübsch in der Wirklichkeit. Es handelt sich in diesem –

Der Nörgler: Jawohl, es handelt sich in diesem –!

Der Optimist: Wenn die Kämpfer nicht ein Ideal vor sich hätten, würden sie nicht in den Krieg ziehen. Auf Worte kommt es nicht an. Weil die Völker Ideale vor Augen haben, tragen sie ihre Haut –

Der Nörgler: Zu Markte!

Der Optimist: Nun gerade in der Sprache unserer Armeekommanden müßten Sie einen Zug erkennen, der sich von der trivialen Prosa der von Ihnen verachteten Geschäftswelt kräftig abhebt.

Der Nörgler: Gewiß, insoferne diese Sprache bloß eine Beziehung zum Varietégeschäft verrät. So habe ich in einem Divisionskommandobefehl gelesen: » ... die, was Heldenmut, todesverachtende Tapferkeit und Selbstaufopferung anbetrifft, das höchste geleistet haben, was erstklassige Truppen überhaupt zu leisten imstande sind ... « Sicherlich hat dem Divisionär eine jener erstklassigen Truppen vorgeschwebt, an denen er sich im Frieden oft zu ergötzen pflegte. Das reine Geschäft kommt mehr in der fortwährenden Verwechslung von Schilden und Schildern zur Geltung.

Der Optimist: Meinen Sie das wörtlich?

Der Nörgler: Sachlich und wörtlich, also wörtlich.

Der Optimist: Ja es ist ein Kreuz mit der Sprache.

Der Nörgler: Das man auf der Brust trägt. Ich trag's auf dem Rücken.

Der Optimist: Ob Sie das nicht überschätzen?

Der Nörgler: zum Beispiel so: Ein Volk, sage ich, ist dann fertig, wenn es seine Phrasen noch in einem Lebensstand mitschleppt, wo es deren Inhalt wieder erlebt. Das ist dann der Beweis dafür, daß es diesen Inhalt nicht mehr erlebt.

Der Optimist: Wie das?

Der Nörgler: Ein U-Boot-Kommandant hält »die Fahne hoch«, ein Fliegerangriff ist »zu Wasser« geworden. Leerer wird's noch, wenn die Metapher stofflich zuständig ist. Wenn statt einer Truppenoperation zu Lande einmal eine maritime Unternehmung »Schiffbruch« leidet. Wenn der Erfolg in unsern jetzigen Stellungen »bombensicher« war und die Beschießung eines Platzes ein »Bombenerfolg«.

Der Optimist: Ja, diese Redensarten entstammen samt und sonders der kriegerischen Sphäre und jetzt leben wir eben in ihr.

Der Nörgler: Wir tun es nicht. Sonst wäre der Schorf der Sprache von selbst abgefallen. Neulich las ich, daß sich die Nachricht von einem Brand in Hietzing wie ein »Lauffeuer« verbreitet habe. So auch die Nachricht vom Weltbrand.

Der Optimist: Brennts darum nicht?

Der Nörgler: Doch. Papier brennt und hat die Welt entzündet. Zeitungsblätter haben zum Unterzünden des Weltbrands gedient. Erlebt ist nur, daß die letzte Stunde geschlagen hat. Denn Kirchenglocken werden in Kanonen verwandelt.

Der Optimist: Die Kirchen selbst scheinen das nicht so tragisch zu nehmen, denn sie stellen die Glocken vielfach auch freiwillig zur Verfügung.

Der Nörgler: Krieg sei ihr letzt Geläute. Die Verwandtschaft von Requiem und Mörser stellt sich allmählich doch heraus.

Der Optimist: In jedem Staat fleht die Kirche Gottes Segen für ihre eigenen Waffen herab –

Der Nörgler: – und trachtet diese noch zu vermehren. Wohl, es kann von ihr nicht verlangt werden, daß sie Gottes Segen für die feindlichen Waffen herabfleht, aber zu einem Fluch für die eigenen hätte sie sich immerhin aufraffen können. Da hätten sich dann die Kirchen der kämpfenden Staaten besser verstanden. Jetzt ist es möglich, daß der Papst den Krieg zwar verwünscht, aber von »berechtigten nationalen Aspirationen« spricht und daß an demselben Tag der Fürsterzbischof von Wien den Krieg segnet, der zur Abwehr »ruchloser nationaler Aspirationen« geführt wird. Ja, wären die Inspirationen stärker gewesen als die Aspirationen, so gäb's diese nicht und keinen Krieg.

Der Optimist: Die schwarze Internationale hat eben noch mehr versagt als die rote.

Der Nörgler: Bewährt hat sich nur jene, die es schwarz auf rot gegeben hat, die Presse –.

Der Optimist: – Es ist erfreulich, daß Sie deren Macht anerkennen –

Der Nörgler: – wiewohl ich ihren Einfluß überschätze. Was ist Benedikt gegen –

Der Optimist: Was haben Sie gegen –

Der Nörgler: Ich meine doch den Papst (Benedikt). Was vermag eine Predigt für den Frieden gegen einen Leitartikel für den Krieg. Und da es nur Predigten für den Krieg gibt –

Der Optimist: Das will ich zugeben, in Bethlehem war das Heil der Welt anders beschlossen.

Der Nörgler: Bethlehem in Amerika korrigiert den Mißgriff, der vor neunzehn Jahrhunderten begangen wurde.

Der Optimist: In Amerika? Wie meinen Sie das?

Der Nörgler: Bethlehem (Steel) heißt die größte Kanonengießerei der Vereinigten Staaten (in Pennsylvania). Bei uns stellt jede Kirche ihr Bethlehem bei, ihr Bethlehem-Scherflein.

Der Optimist: Ein Namenszufall.

Der Nörgler: Sie sind ungläubig. Da wissen Sie wohl auch nicht, was ein Paternoster ist?

Der Optimist: Ein Gebet!

Der Nörgler: Ein Lift! Sie Optimist!

Der Optimist: Ach so, natürlich. Aber das mit Bethlehem –? So heißt also der Ort, von wo Deutschlands Feinde mit Waffen versorgt werden!

Der Nörgler: Von Deutschen.

Der Optimist: Sie scherzen. An der Spitze des Stahltrusts steht (Andrew) Carnegie (ein amerikanischer Großindustrieller).

Der Nörgler: Steht (Charles Michael) Schwab (ein deutschstämmiger, römisch-katholischer Waffenproduzent).

Der Optimist: So, also Deutschamerikaner versorgen jetzt die Feinde –?

Der Nörgler: Reichsdeutsche!

Der Optimist: Wer sagt das!

Der Nörgler: Wers weiß. Das Wall Streetjournal, das in finanziellen Dingen mindestens so maßgebend sein soll wie unsere Börsenpresse, hat festgestellt, daß zwanzig Prozent der Aktien des Stahltrusts sich in deutschen Händen befinden, aber nicht in deutschamerikanischen, sondern in reichsdeutschen. Mehr als das. Da lesen Sie, was in einem deutschen Sozialistenblatt steht:

»Während man von mehreren waschecht angloamerikanischen Fabrikanten erfahren hat, die Bestellungen der französischen und englischen Regierung abgewiesen haben, hat der in Milwaukee erscheinende sozialistische »Leader(es)« die Namen mehrerer Deutschamerikaner genannt, die öffentlich laut und eifrig für die Sache Deutschlands eintreten –  «

(Eine Gruppe junger Burschen mit Lampions zieht vorbei, die das Lied singen: Lieb Vaterland, magst ruhig sein.)

Der Nörgler:

» – während die von ihnen geleiteten Fabriken Patronen, Flinten und anderes Kriegsmaterial für England und Frankreich herstellen. Ja es kommt noch schlimmer; es gibt in den Vereinigten Staaten Filialen reichsdeutscher Firmen, die sich an diesem Geschäft beteiligen! Hat man da noch das Recht, gegen die merkwürdige Neutralität Amerikas zu protestieren, das schließlich keine Veranlassung hat, um unserer schönen Augen willen auf diese gewaltigen Profite zu verzichten?«

Der Optimist: Unglaublich – aber schöne Augen, das müssen Sie zugeben, haben die Deutschen.

Der Nörgler: Schön und treu und das Herz, wo immer es sein mag, stets ist es auf dem rechten Fleck. Wissen Sie, daß die italienischen Karten von Österreich, in denen die irredentistischen Verheißungen erfüllt sind und die jetzt hier in den Buchhandlungen zum Beweis der feindlichen Unverschämtheit ausgehängt werden, in Deutschland hergestellt worden sind? Und daß die französischen Postkarten, auf denen die Entstehung der Marseillaise illustriert ist, in Dresden gedruckt sind? Ich habe eine Filmanzeige gesehen, mit dem packenden Titel: Deutsche Treue – welsche Tücke!

Der Optimist: Nun, das ist doch in Ordnung?

Der Nörgler: Das würden Sie nicht finden, wenn Sie es gesehen hätten. Ein Dämon hatte im dritten Wort einen Buchstaben weggelassen –

Der Optimist: Welche Tücke!

Der Nörgler: Ganz richtig: w e l c h e  Tücke. Zum Glück wurde aber der Buchstabe von einem gewissenhaften Korrektor wenigstens handschriftlich nachgetragen. Er gab der Wahrheit die Ehre und dem Worte das s.

Der Optimist: Sie bleiben Ihrer Gewohnheit treu, Druckfehler –

Der Nörgler: – für den authentischen Text zu halten.

Der Optimist: Diese Treue –

Der Nörgler: –  w e l c h e  Tücke!

Der Optimist: Nun, was die italienischen Landkarten und die französischen Postkarten anlangt, so könnte man sagen, es spricht für die Tüchtigkeit der Deutschen –

Der Nörgler: – daß die Feinde ihren Haß aus Deutschland beziehen müssen, und wenn sie vor Wut zerspringen! Was nicht sosehr für die Deutschen als für die Feinde eine Demütigung bedeutet, nicht wahr?

Der Optimist: Nein, ich sage das nicht, aber ich sage, daß Sie sich an Auswüchse klammern.

Der Nörgler: Ein gesunder Stamm hat keine.

Der Optimist: Denken Sie lieber daran, daß die Deutschen in Amerika Bollwerke heimischer Volksart errichtet haben.

Der Nörgler: Ich denke daran, daß sie in diesen Bollwerken Munition gegen ihre Stammesgenossen fabrizieren.

Der Optimist: Ja, business is business.

Der Nörgler: Nein, Geschäft ist Geschäft.

Der Optimist: In der Politik sage ich: Erfolg ist Erfolg. Darum dürfte die Versenkung der Lusitania nicht ohne großen Eindruck bleiben.

Der Nörgler: Den hat sie allerdings schon erzielt. In der ganzen Welt, soweit sie noch eines Abscheus fähig ist. Aber auch in Berlin.

Der Optimist: Sogar in Berlin?

Der Nörgler: Das läßt sich wieder nur durch Beweise beweisen. (Er liest vor.)

»In dem Moment, als der Dampfer unterging, sprangen Hunderte von Personen ins Meer. Die meisten wurden vom Strudel weggerissen. Viele Personen hielten sich an Holzstücken, die durch die Explosion losgerissen waren, fest ... in Queenstown konnte man tragische Szenen beobachten, Frauen suchten ihre Männer, Mütter riefen nach ihren Kindern, bejahrte Frauen irrten mit offenen, wassertriefenden Haaren herum, junge Frauen gingen ziellos umher, ihre Kinder an die Brust gepreßt. 126 Leichen lagen bereits in einem Haufen da; es waren darunter Frauen, Männer und Kinder aller Altersstufen. Zwei arme kleine Kinder hielten sich eng umschlungen im Tode. Es war ein jammervoller unvergeßlicher Anblick.«

So.

Der Optimist: Nun, aber in Berlin?

Der Nörgler: In Berlin? In einem dortigen Varieté wurde schon am Tag nach der Katastrophe ein Film, der dies alles darstellt, vorgeführt, und auf dem Zettel hieß es: »Die Versenkung der Lusitania. Naturgetreu. Bei diesem Programmpunkt Rauchen gestattet.«

Der Optimist: Das ist gewiß geschmacklos.

Der Nörgler: Nein, es ist stilvoll.

Der Optimist: Nun, ich kann den Lusitania-Fall nicht sentimental nehmen.

Der Nörgler: Ich auch nicht, nur kriminell.

Der Optimist: Die Leute waren gewarnt worden.

Der Nörgler: Die Warnung vor der Gefahr war die Drohung mit einem Verbrechen, also ging dem Mord eine Erpressung voraus. Der Erpresser kann nie zu seiner Entlastung geltend machen, daß er den Schaden, den er verübt hat, vorher angedroht habe. Wenn ich Ihnen für den Fall, daß Sie eine Leistung oder Unterlassung, auf die ich keinen Anspruch habe, verweigern, den Tod androhe, bin ich ein Erpresser und kein Warner, und hinterher ein Mörder und kein Exekutor. Rauchen gestattet. Aber mag lieb Vaterland, wenn es an die Kinderleichen denkt, noch versuchen ruhig zu sein!

Der Optimist: Das Unterseeboot konnte nicht anders als –

Der Nörgler: – den Eisberg ersetzen, der ein paar Jahre zuvor in die Titanic fuhr wie Gottes Zorn in den Wahnwitz des technischen Übermaßes, daß er die Menschheit das Schaudern lehre statt der Ehrfurcht. Jetzt besorgt die Technik selbst das Strafgericht und alles ist in Ordnung. Aber damals wurde noch Gott, der es getan, mit Namen gerufen. Den Helden dieses Unterseeboots verschweigt die Weltgeschichte. Der amtliche Bericht nennt ihn nicht. Die Behauptung der Feinde, der Mensch hätte eine Auszeichnung erhalten, wird vom Wolff (Informations) büro (in Berlin) als Lüge bezeichnet. Und mit einer Entrüstung, die hinter allem selbstbekömmlichen Tonfall der biedern Phrase endlich einmal die eigene Tat bloßstellt.

Der Optimist: Gewiß, er hat nicht den Anspruch, unter Helden wie Weddigen –

Der Nörgler: Ja, warum denn nicht? Die Tat wird ja verherrlicht. Warum wird sie nicht verschwiegen wie der Täter?

Der Optimist: Die Tat war nicht erhaben, aber nützlich. Die Lusitania hat Waffen an Bord geführt, die den Leibern deutscher Soldaten zugedacht waren.

Der Nörgler: Deutsche Waffen!

 

2-10. Szene                                                                                                                                                                                    Optimist & Nörgler (6)

Optimist, Nörgler, Gruppe junger singender Burschen mit Lampions / Vorbeiziehende einrückende Rekruten die graue Bärte haben

Der Optimist und der Nörgler im Gespräch.

Der Optimist: Das kann ich wirklich mit ruhigem Gewissen behaupten, ich habe seit der Kriegserklärung noch keinen jungen Menschen in Wien getroffen, der noch da war und wenn er noch da war, der nicht vor Ungeduld gefiebert hätte, nicht mehr da zu sein.

Der Nörgler: Ich komme so wenig unter Leute. Aber ich habe ein Gesellschaftstelephon. Da habe ich schon im Frieden mühelos und ohne erst auf die schwarze Scheibe hauen zu müssen, Gespräche des Bezirks, über eine geplante Poker-Partie, über ein vorgehabtes Geschäft und über einen angestrebten Koitus hören können. Meine einzigen Verbindungen mit der Außenwelt sind die falschen. Seitdem der Weltkrieg ausgebrochen ist und das vaterländische Telephon dadurch keineswegs verbessert wurde, drehen sich die Gespräche um ein weiteres Problem und ich kann tagtäglich, so oft ich ans Telephon gerufen werde, um andere Leute miteinander sprechen zu hören, also mindestens zehnmal täglich Gespräche hören wie die:

»Der Gustl is hinaufgegangen und hat sichs gerichtet.« »Wie gehts denn dem Rudi?« »Der Rudi is auch hinaufgegangen und hat sichs auch gerichtet.« »Und der Pepi? Is der am End schon im Feld?« »Der Pepi hat einen Hexenschuß. Aber sobald er aufstehn kann, wird er hinaufgehn und sichs richten.«

Der Optimist: Seien Sie vorsichtig.

Der Nörgler: Warum? Ich würde es beweisen können. Es gibt noch Richter in Österreich.

Der Optimist: Von Ihrem Standpunkt müßten Sie ja die Befreiung jedes einzelnen begrüßen.

Der Nörgler: Jawohl, jedes einzelnen. Ich stehe auf meinem Standpunkt. Aber das Vaterland steht nicht auf meinem Standpunkt, und jene, die ausgenommen sein wollen, bekennen sich zum Standpunkt des Vaterlands und nicht zu dem meinigen. Wenn ich den Zwang zum Tode für eine Schmach halte, so halte ich die Protektion vor dem Tode für einen Zustand, der die Schmach bis zu dem Gefühl verschärft, daß man hierzulande nur als Selbstmörder weiterleben kann. Es ist das letzte Freiwilligenrecht gegenüber der allgemeinen Wehrpflicht.

Der Optimist: Aber Ausnahmen muß es schließlich geben. Zum Beispiel die Literatur. Das Vaterland braucht nicht nur Soldaten –

Der Nörgler: – sondern auch Lyriker, die ihnen den Mut machen, den sie selbst nicht haben.

Der Optimist: Die Dichter sind aber mit dem höheren Zweck entschieden gewachsen. Sie können unmöglich leugnen, daß der Krieg auch sie gestählt hat.

Der Nörgler: (Bei) Den meisten hat er die Gewinnsucht mobilisiert, (bei) den paar Charaktervollen nur die Dummheit.

Der Optimist: Ein Mann wie (der Schriftsteller) Richard Dehmel, (meldete sich 1914 freiwillig zum Wehrdienst, schrieb Kriegsgedichte) der selbst eingerückt ist, hat ein Beispiel gegeben –

Der Nörgler: – das er durch seine Kriegslyrik entwertet hat. Er nannte das Geräusch der Maschinengewehre »Sphärenmusik« und stellte jene Kreatur, die der allgemeinen Wehrpflicht noch wehrloser gegenübersteht als der Mensch, unter den Begriff des »Vaterlandes«, für dessen unheilige Sache er die »deutschen Pferde« reklamiert hat.

(Was sagt man heute zu den Ausbrüchen eines Richard Dehmel, aus der Zeit, da

»aus Schleswig und Elsaß, Tirol, Mähren, Krain —

nur Deutscher wollt' endlich jeder sein – «

die Bruderscharen kamen »gegen russischen, welschen, britischen Neid gefahren«.

»Und was kommt hinterdrein noch getönt,

was stampft so eisern die Erde,

daß uns die Wand des Herzens dröhnt?

Das waren die deutschen Pferde.

Mit witternden Nüstern auf der Wacht

trugen auch sie ihr Blut zur Schlacht

für Deutschlands Ehre und Recht und Macht —

in den Dörfern tobten die Hunde;

auch unsere Tiere spürten den Ernst

der großen Gottesstunde.«)

Der Optimist: Ja, in solchen Zeiten sind eben alle Dichter fortgerissen –

Der Nörgler: – der Tat jener, die die Schöpfung schänden, das Wort zu leihen.

Der Optimist: Blicken Sie auf (Ottokar) Kernstock –

Der Nörgler: Nicht gern.

Der Optimist: Ein Dichter christlicher Milde, in seinem Beruf sogar ein Geistlicher.

Der Nörgler: Ja, das gebe ich zu, der ist außerordentlich gestählt worden. Ich denke vor allem an die Verse, in denen er seine »Steirerbuam« auffordert, aus »Welschlandfrüchtchen blutroten Wein« zu pressen.

Der Optimist: Oder denken Sie an den Bruder Willram –

Der Nörgler: Leider läßt mich mein Gedächtnis nicht im Stich. Das ist doch der christliche Dichter, (der »Besinger der Leichenhaufen«,) dem Blut »ein rotes Blühn« ist und der von einem »Blutfrühling« träumt.

(Und schütten Blut und Feuer

und hageln Eisensaat

Auf's gift'ge Ungeheuer

Voll Meineid und Verrat --

Und säubern deutsche Erde

Von welscher Niedertracht

Und hüten unsre Herde:

Die Dolomitenwacht!)

(Oder) Sie spielen vielleicht auf die Weisung dieses Seelsorgers an, die da lautet: »Im Kampf mit Drachen und Molchen die stinkende Brut erdolchen?« Oder: »Die Feinde dreschen nach Herzenslust und jedem das schrille Blei in die Brust?«

Der Optimist: Nein, ich meine seinen Ausruf: »Zum Freiwild ist geworden der feige welsche Wicht.« Oder die Verse, in denen sein Schlachtroß laut wiehert und »schnaubt voll edlen Muts« und trägt ihn »in der Feinde Troß durch Bäche roten Bluts«.

Der Nörgler: Aber die Kavallerie ist doch schon abgesessen und selbst der Einspänner (die Kutsche) von der Innsbrucker Weinstube nachhaus ist heute unerschwinglich.

Der Optimist: Unterschätzen Sie nicht die Kraft dichterischer Illusion, zumal in dem Gedicht, worin er den Herrgott bittet, die Feinde so zu segnen, daß selbst dem Teufel graust, wenn wir uns baden im Blute.

Der Nörgler: Und was tut der Teufel? Ihm grausts umsomehr, je weniger es dem Priester graust.

Der Optimist: Oder blicken wir auf (Felix) Dörmann.

Der Nörgler: Der ist doch kein Priester.

Der Optimist: Aber ein Dichter! Wie standen wir seinerzeit im Bann seiner Worte: »lch liebe die hektischen schlanken (Narzissen mit blutrothem Mund; Ich liebe die Qualengedanken, Die Herzen zerstochen und wund)«! Jetzt, um fünfundzwanzig Jahre älter geworden, hat er sich aus einer anämischen Geschmacksrichtung, die wir gottseidank alle überwunden haben, zu einer blutlebendigeren Auffassung –

Der Nörgler: Sie vergessen, daß schon die hektischen schlanken Narzissen (schon damals) einen »blutroten Mund« hatten.

Der Optimist: Trotzdem. Was ist das im Vergleich zu den Versen, mit denen er (Felix Dörrmann) jetzt alle fortreißt: »Die Russen und die Serben, die hauen wir zu Scherben!« Wie hat der sich aufgerafft, zu welcher Entschlossenheit und Kraftfülle ist dieser einst dekadente Lyriker emporgediehen. Wie groß muß die Wirkung dieser Gegenwart sein, daß sie einen amourösen Liebling der Grazien so verwandeln, zu solcher Unerbittlichkeit des Fühlens, zu solcher Tatkraft des Vollbringens befähigen konnte?

Der Nörgler: Es ist über ihn gekommen.

Der Optimist: Und Sie werden auch den Vorteil, den die Einstellung der literarischen Produktion auf die Bedürfnisse des Vaterlands sowohl für dieses wie last not least für den Betreffenden selbst hat, nicht leugnen können. Dazu kommt, daß in einer Zeit, in der jeder seine Pflicht gegen das Vaterland erfüllt, auch das Vaterland Gelegenheit hat, sich der Pflicht gegen seine besten Söhne zu erinnern.

Ich denke da vor allem an einen Mann wie (Franz) Lehar. Es hat sich einfach von selbst verstanden, daß der Schöpfer des (klangvollen) Nechledil-Marsches, (der ausging, Symphonien zu suchen und »Die lustige Witwe« fand) von jeder Kriegsdienstleistung (noch dazu »auf Kriegsdauer«) befreit blieb.

Der Nörgler: Beethoven hätte wegen Schwerhörigkeit einen C-Befund (also die Befreiung vom Kriegsdienst und den Einsatz in Schreibstuben) gekriegt und infolgedessen bloß bei Mullatschaks in Offiziersmessen Klavier spielen müssen. Welche Vertreter der Malerei und der Literatur würden Ihnen ähnlich berücksichtigenswert erscheinen?

Der Optimist: Ich denke an (Fritz) Schönpflug, den Zeichner so vieler lustiger Militärtypen, und an Hans Müller, dessen sonnige Feuilletons eine wahre Herzstärkung sind und so viel zum Durchhalten beigetragen haben.

Der Nörgler: Auch mich sollte es baß verwundern, wenn ein Dichter (wie Müller), den (sogar) Wilhelm II. (vor kurzem) in der Wiener Hofburg empfangen hat, die daraufhin noch nicht geschlossen wurde, nicht eines Tages von dem aufreibenden Dienst im k. u. k. Kriegsarchiv (in dem er jetzt arbeitet) befreit würde.

Der Optimist: Da haben Sie ganz recht. Solche Männer erbringen ja durch ihr eigenes Schaffen die erfreulichsten Beweise für ihre Unentbehrlichkeit. Aber daneben muß es auch Kriegsschilderer und Kriegsberichterstatter geben; sie sind vom Frontdienst befreit, um –

Der Nörgler: – den andern darauf Gusto zu machen.

Der Optimist: Sie bewähren sich in ihrer Art so gut wie die Militärärzte, die –

Der Nörgler: – umso untauglicher sind, je mehr Leute sie für tauglich erklären, und umso sicherer ihr Leben behalten –

Der Optimist: – je mehr Verwundeten sie es wiedergeben –

Der Nörgler: – damit diese es verlieren können. Während wieder die Auditoren (Militärstaatsanwälte) es umso sicherer behalten, je mehr Gesunden sie es nehmen.

Der Optimist: Man darf nicht generalisieren.

Der Nörgler: Man darf alles, nur nicht das.

Der Optimist: Das Vaterland braucht Soldaten, aber auch Kriegsberichterstatter. Es ist doch Krieg, und so müssen sie es uns sagen.

Der Nörgler:
 (spricht sein Gedicht »Kriegsberichterstatter«)

Wie? Es ist Krieg? Wir wissen es von solchen,


die noch ihr dreckiges Ich haben, das erzählt,


in welcher Stimmung sie den Krieg besichtigt?


Ein Schlachtroß fänd' es unter seiner Würde


mit seinem linken Hinterhuf die Krummnas'


von sich zu stoßen, und die oben sitzen,


empfangen sie, und stehn ihr Red' und Antwort,


verköstigen an ihrem eigenen Tisch


den Auswurf? Wie, war das Ereignis denn


nicht stark genug, den innern Feind zu schlagen?


Er dringt zur Front, macht sich ums Blatt verdient?


Stellt uns den Krieg vor, stellt sich vor den Krieg?


Er wird nicht untergehn? Er lebt? Er dient nicht?


Nicht exerzieren müssen die Gemeinen?


Ist es ein Krieg? Ich denk', es ist der Friede.


Die Bessern gehen und die Schlechtern bleiben.


Nicht sterben müssen sie. Sie können schreiben.

(Ein Zug von Rekruten, die graue Bärte haben, geht vorbei.)

Der Optimist: Sehn Sie, die rücken ein.

Der Nörgler: Und dennoch sind sie nicht Einrückende.

Der Optimist: Sondern?

Der Nörgler: »Einrückend gemachte«, wie sie mit Recht heißen. Das Partizipium der Gegenwart allein würde noch eine Willenstätigkeit bekunden und darum muß schon ein Partizip der Vergangenheit dabei sein. Es sind also »einrückend Gemachte«. Bald werden sie einrückend gemacht sein.

Der Optimist: Nun ja, sie müssen in den Krieg ziehen.

Der Nörgler: Ganz richtig, sie müssen, die allgemeine Wehrpflicht hat aus der Menschheit ein Passivum gemacht. Einst zog man in den Krieg, jetzt wird man in den Krieg gezogen. Nur in Deutschland ist man schon darüber hinaus.

Der Optimist: Wie das?

Der Nörgler: In Karlsruhe habe ich ein großes Plakat gelesen: Macht Soldaten frei! Und sogar am Tor des Oberkommandos.

Der Optimist: Wie ist das möglich, das ist doch Revolution, wie kann das Oberkommando in Karlsruhe –

Der Nörgler: Ja, es werden nämlich Schreiber für die Kanzlei gesucht und es wird gewünscht, daß sich Zivilisten melden, damit Soldaten, die noch in der Kanzlei arbeiten, für die Front frei werden. Also: »Macht Soldaten frei!« Bei uns würde man auch da sagen: »Macht Soldaten einrückend«, worin ja hinreichend Willensfreiheit wäre. Ich glaube aber, daß das deutsche Plakat seine Wirkung unter allen Umständen erreicht. Denn wenn es seine Wirkung auch nicht erreicht, so weiß die deutsche Militärverwaltung doch dafür zu sorgen, daß die vakanten Schreiberposten besetzt werden. Ein Mangel an Bewerbern könnte nur eintreten, wenn bereits alle Soldaten, die dafür in Betracht kommen, freie Soldaten geworden sind.

Der Optimist: Ihre Nörgelei macht nicht einmal vor einer Verlautbarung des Oberkommandos in Karlsruhe Halt.

Der Nörgler: Ich habe übrigens noch eine andere draußen gesehn. In einem Polizeiamt hängt ein Plakat, dessen Text mir ins Ohr gegangen ist. Er lautet:


»Haut die Schufte, haut die Bande,


Werft sie bis zu Ätnas Rande,


Füllt sie in Vesuvens Rachen!


Haut sie, daß die Schwarten krachen!


Haut sie, daß sie nur so glotzen,


Haut sie, bis sie Lumpen kotzen!


Streicht Pardon aus eueren Herzen,


Um das Trugvolk auszumerzen!


Füllt mit Dynamit die Täler,


Rottet aus die Heuchler, Hehler,


Jedem schlagt den Schädel ein


Und seid stolz, »Barbar« zu sein!«

Der Optimist: So etwas wäre auch bei den anderen Nationen möglich.

Der Nörgler: Man darf nicht generalisieren. Aber Sie könnten recht haben. Es wäre sogar bei den Engländern möglich, wenn sie noch ein paar Jahre allgemeine Wehrpflicht haben. Daß die Täler dazu da sind, um mit Dynamit gefüllt zu werden, wird allmählich allen Völkern einleuchten. Nur die eine Zeile: Haut sie, bis sie Lumpen. kotzen – die, sehn Sie, hat Landesfarbe.

Der Optimist: Eine Roheit, was weiter. Man darf nicht generalisieren.

Der Nörgler: Gewiß nicht, es wäre bei den weißen wie bei den farbigen Engländern unmöglich.

Der Optimist: Es ist auch in Deutschland ein Einzelfall.

Der Nörgler: Der aber nur in Deutschland möglich ist. Und der Kerl, der es verfaßt hat, sitzt in einem Büro und erschrickt, wenn ein Papiersack explodiert.

Der Optimist: Nun, eben –

Der Nörgler: Und derselbe Kerl ist, wenn er hinauskommt, ein passionierter Mörder, dreht einem Sterbenden das Messer im Leib um, würde es stolz erzählen, wenn er daheim ist, und wieder erschrecken, wenn ein Papiersack(erl) explodiert.

Der Optimist: Ich verstehe Sie nicht. Es gibt gute und böse Menschen im Krieg. Sie sagen doch selbst, daß er nur die Kontraste vergrößert hat.

Der Nörgler: Gewiß, auch den zwischen mir und Ihnen. Sie waren schon im Frieden ein Optimist und jetzt –

Der Optimist: Sie waren schon im Frieden ein Nörgler und jetzt –

Der Nörgler: Jetzt geb' ich sogar der Phrase die Blutschuld.

Der Optimist: Ja, warum sollte der Krieg Sie von Ihrer fixen Idee befreit haben?

Der Nörgler: Ganz richtig, er hat mich sogar darin bestärkt. Ich bin mit dem höheren Zweck kleinlicher geworden. Ich sehe einrückend Gemachte und spüre, daß es gegen die Sprache geht. An Drahtverhauen hängen die blutigen Reste der Natur.

Der Optimist: Wirklich also, mit Grammatik wollen Sie den Krieg führen?

Der Nörgler: Das ist ein Irrtum, mich interessiert kein Reglement, nur der lebendige Sinn des Ganzen. Im Krieg gehts um Leben und Tod der Sprache. Wissen Sie, was geschehen ist? Schilder und Schilde sind nicht mehr zu unterscheiden und alle, die nur ein Schild und einen Verdienst gehabt haben, werden dereinst ein Verdienst und einen Schild haben. So mischen sich die Sphären und die neue Welt ist blutiger als die alte, weil sie den furchtbaren neuen Sinn furchtbarer macht durch die alten Formen, denen sie geistig nicht entwachsen konnte. Fibel und Flammenwerfer! Panier und Papier! Weil wir zum Schwert greifen, mußten wir zur Gasbombe greifen. Und wir führen diesen Kampf bis aufs Messer.

Der Optimist: Das ist mir zu hoch. Bleiben wir hübsch in der Wirklichkeit. Es handelt sich in diesem –

Der Nörgler: Jawohl, es handelt sich in diesem –!

Der Optimist: Wenn die Kämpfer nicht ein Ideal vor sich hätten, würden sie nicht in den Krieg ziehen. Auf Worte kommt es nicht an. Weil die Völker Ideale vor Augen haben, tragen sie ihre Haut –

Der Nörgler: Zu Markte!

Der Optimist: Nun gerade in der Sprache unserer Armeekommanden müßten Sie einen Zug erkennen, der sich von der trivialen Prosa der von Ihnen verachteten Geschäftswelt kräftig abhebt.

Der Nörgler: Gewiß, insoferne diese Sprache bloß eine Beziehung zum Varietégeschäft verrät. So habe ich in einem Divisionskommandobefehl gelesen: » ... die, was Heldenmut, todesverachtende Tapferkeit und Selbstaufopferung anbetrifft, das höchste geleistet haben, was erstklassige Truppen überhaupt zu leisten imstande sind ... « Sicherlich hat dem Divisionär eine jener erstklassigen Truppen vorgeschwebt, an denen er sich im Frieden oft zu ergötzen pflegte. Das reine Geschäft kommt mehr in der fortwährenden Verwechslung von Schilden und Schildern zur Geltung.

Der Optimist: Meinen Sie das wörtlich?

Der Nörgler: Sachlich und wörtlich, also wörtlich.

Der Optimist: Ja es ist ein Kreuz mit der Sprache.

Der Nörgler: Das man auf der Brust trägt. Ich trag's auf dem Rücken.

Der Optimist: Ob Sie das nicht überschätzen?

Der Nörgler: zum Beispiel so: Ein Volk, sage ich, ist dann fertig, wenn es seine Phrasen noch in einem Lebensstand mitschleppt, wo es deren Inhalt wieder erlebt. Das ist dann der Beweis dafür, daß es diesen Inhalt nicht mehr erlebt.

Der Optimist: Wie das?

Der Nörgler: Ein U-Boot-Kommandant hält »die Fahne hoch«, ein Fliegerangriff ist »zu Wasser« geworden. Leerer wird's noch, wenn die Metapher stofflich zuständig ist. Wenn statt einer Truppenoperation zu Lande einmal eine maritime Unternehmung »Schiffbruch« leidet. Wenn der Erfolg in unsern jetzigen Stellungen »bombensicher« war und die Beschießung eines Platzes ein »Bombenerfolg«.

Der Optimist: Ja, diese Redensarten entstammen samt und sonders der kriegerischen Sphäre und jetzt leben wir eben in ihr.

Der Nörgler: Wir tun es nicht. Sonst wäre der Schorf der Sprache von selbst abgefallen. Neulich las ich, daß sich die Nachricht von einem Brand in Hietzing wie ein »Lauffeuer« verbreitet habe. So auch die Nachricht vom Weltbrand.

Der Optimist: Brennts darum nicht?

Der Nörgler: Doch. Papier brennt und hat die Welt entzündet. Zeitungsblätter haben zum Unterzünden des Weltbrands gedient. Erlebt ist nur, daß die letzte Stunde geschlagen hat. Denn Kirchenglocken werden in Kanonen verwandelt.

Der Optimist: Die Kirchen selbst scheinen das nicht so tragisch zu nehmen, denn sie stellen die Glocken vielfach auch freiwillig zur Verfügung.

Der Nörgler: Krieg sei ihr letzt Geläute. Die Verwandtschaft von Requiem und Mörser stellt sich allmählich doch heraus.

Der Optimist: In jedem Staat fleht die Kirche Gottes Segen für ihre eigenen Waffen herab –

Der Nörgler: – und trachtet diese noch zu vermehren. Wohl, es kann von ihr nicht verlangt werden, daß sie Gottes Segen für die feindlichen Waffen herabfleht, aber zu einem Fluch für die eigenen hätte sie sich immerhin aufraffen können. Da hätten sich dann die Kirchen der kämpfenden Staaten besser verstanden. Jetzt ist es möglich, daß der Papst den Krieg zwar verwünscht, aber von »berechtigten nationalen Aspirationen« spricht und daß an demselben Tag der Fürsterzbischof von Wien den Krieg segnet, der zur Abwehr »ruchloser nationaler Aspirationen« geführt wird. Ja, wären die Inspirationen stärker gewesen als die Aspirationen, so gäb's diese nicht und keinen Krieg.

Der Optimist: Die schwarze Internationale hat eben noch mehr versagt als die rote.

Der Nörgler: Bewährt hat sich nur jene, die es schwarz auf rot gegeben hat, die Presse –.

Der Optimist: – Es ist erfreulich, daß Sie deren Macht anerkennen –

Der Nörgler: – wiewohl ich ihren Einfluß überschätze. Was ist Benedikt gegen –

Der Optimist: Was haben Sie gegen –

Der Nörgler: Ich meine doch den Papst (Benedikt). Was vermag eine Predigt für den Frieden gegen einen Leitartikel für den Krieg. Und da es nur Predigten für den Krieg gibt –

Der Optimist: Das will ich zugeben, in Bethlehem war das Heil der Welt anders beschlossen.

Der Nörgler: Bethlehem in Amerika korrigiert den Mißgriff, der vor neunzehn Jahrhunderten begangen wurde.

Der Optimist: In Amerika? Wie meinen Sie das?

Der Nörgler: Bethlehem (Steel) heißt die größte Kanonengießerei der Vereinigten Staaten (in Pennsylvania). Bei uns stellt jede Kirche ihr Bethlehem bei, ihr Bethlehem-Scherflein.

Der Optimist: Ein Namenszufall.

Der Nörgler: Sie sind ungläubig. Da wissen Sie wohl auch nicht, was ein Paternoster ist?

Der Optimist: Ein Gebet!

Der Nörgler: Ein Lift! Sie Optimist!

Der Optimist: Ach so, natürlich. Aber das mit Bethlehem –? So heißt also der Ort, von wo Deutschlands Feinde mit Waffen versorgt werden!

Der Nörgler: Von Deutschen.

Der Optimist: Sie scherzen. An der Spitze des Stahltrusts steht (Andrew) Carnegie (ein amerikanischer Großindustrieller).

Der Nörgler: Steht (Charles Michael) Schwab (ein deutschstämmiger, römisch-katholischer Waffenproduzent).

Der Optimist: So, also Deutschamerikaner versorgen jetzt die Feinde –?

Der Nörgler: Reichsdeutsche!

Der Optimist: Wer sagt das!

Der Nörgler: Wers weiß. Das Wall Streetjournal, das in finanziellen Dingen mindestens so maßgebend sein soll wie unsere Börsenpresse, hat festgestellt, daß zwanzig Prozent der Aktien des Stahltrusts sich in deutschen Händen befinden, aber nicht in deutschamerikanischen, sondern in reichsdeutschen. Mehr als das. Da lesen Sie, was in einem deutschen Sozialistenblatt steht:

»Während man von mehreren waschecht angloamerikanischen Fabrikanten erfahren hat, die Bestellungen der französischen und englischen Regierung abgewiesen haben, hat der in Milwaukee erscheinende sozialistische »Leader(es)« die Namen mehrerer Deutschamerikaner genannt, die öffentlich laut und eifrig für die Sache Deutschlands eintreten –  «

(Eine Gruppe junger Burschen mit Lampions zieht vorbei, die das Lied singen: Lieb Vaterland, magst ruhig sein.)

Der Nörgler:

» – während die von ihnen geleiteten Fabriken Patronen, Flinten und anderes Kriegsmaterial für England und Frankreich herstellen. Ja es kommt noch schlimmer; es gibt in den Vereinigten Staaten Filialen reichsdeutscher Firmen, die sich an diesem Geschäft beteiligen! Hat man da noch das Recht, gegen die merkwürdige Neutralität Amerikas zu protestieren, das schließlich keine Veranlassung hat, um unserer schönen Augen willen auf diese gewaltigen Profite zu verzichten?«

Der Optimist: Unglaublich – aber schöne Augen, das müssen Sie zugeben, haben die Deutschen.

Der Nörgler: Schön und treu und das Herz, wo immer es sein mag, stets ist es auf dem rechten Fleck. Wissen Sie, daß die italienischen Karten von Österreich, in denen die irredentistischen Verheißungen erfüllt sind und die jetzt hier in den Buchhandlungen zum Beweis der feindlichen Unverschämtheit ausgehängt werden, in Deutschland hergestellt worden sind? Und daß die französischen Postkarten, auf denen die Entstehung der Marseillaise illustriert ist, in Dresden gedruckt sind? Ich habe eine Filmanzeige gesehen, mit dem packenden Titel: Deutsche Treue – welsche Tücke!

Der Optimist: Nun, das ist doch in Ordnung?

Der Nörgler: Das würden Sie nicht finden, wenn Sie es gesehen hätten. Ein Dämon hatte im dritten Wort einen Buchstaben weggelassen –

Der Optimist: Welche Tücke!

Der Nörgler: Ganz richtig: w e l c h e  Tücke. Zum Glück wurde aber der Buchstabe von einem gewissenhaften Korrektor wenigstens handschriftlich nachgetragen. Er gab der Wahrheit die Ehre und dem Worte das s.

Der Optimist: Sie bleiben Ihrer Gewohnheit treu, Druckfehler –

Der Nörgler: – für den authentischen Text zu halten.

Der Optimist: Diese Treue –

Der Nörgler: –  w e l c h e  Tücke!

Der Optimist: Nun, was die italienischen Landkarten und die französischen Postkarten anlangt, so könnte man sagen, es spricht für die Tüchtigkeit der Deutschen –

Der Nörgler: – daß die Feinde ihren Haß aus Deutschland beziehen müssen, und wenn sie vor Wut zerspringen! Was nicht sosehr für die Deutschen als für die Feinde eine Demütigung bedeutet, nicht wahr?

Der Optimist: Nein, ich sage das nicht, aber ich sage, daß Sie sich an Auswüchse klammern.

Der Nörgler: Ein gesunder Stamm hat keine.

Der Optimist: Denken Sie lieber daran, daß die Deutschen in Amerika Bollwerke heimischer Volksart errichtet haben.

Der Nörgler: Ich denke daran, daß sie in diesen Bollwerken Munition gegen ihre Stammesgenossen fabrizieren.

Der Optimist: Ja, business is business.

Der Nörgler: Nein, Geschäft ist Geschäft.

Der Optimist: In der Politik sage ich: Erfolg ist Erfolg. Darum dürfte die Versenkung der Lusitania nicht ohne großen Eindruck bleiben.

Der Nörgler: Den hat sie allerdings schon erzielt. In der ganzen Welt, soweit sie noch eines Abscheus fähig ist. Aber auch in Berlin.

Der Optimist: Sogar in Berlin?

Der Nörgler: Das läßt sich wieder nur durch Beweise beweisen. (Er liest vor.)

»In dem Moment, als der Dampfer unterging, sprangen Hunderte von Personen ins Meer. Die meisten wurden vom Strudel weggerissen. Viele Personen hielten sich an Holzstücken, die durch die Explosion losgerissen waren, fest ... in Queenstown konnte man tragische Szenen beobachten, Frauen suchten ihre Männer, Mütter riefen nach ihren Kindern, bejahrte Frauen irrten mit offenen, wassertriefenden Haaren herum, junge Frauen gingen ziellos umher, ihre Kinder an die Brust gepreßt. 126 Leichen lagen bereits in einem Haufen da; es waren darunter Frauen, Männer und Kinder aller Altersstufen. Zwei arme kleine Kinder hielten sich eng umschlungen im Tode. Es war ein jammervoller unvergeßlicher Anblick.«

So.

Der Optimist: Nun, aber in Berlin?

Der Nörgler: In Berlin? In einem dortigen Varieté wurde schon am Tag nach der Katastrophe ein Film, der dies alles darstellt, vorgeführt, und auf dem Zettel hieß es: »Die Versenkung der Lusitania. Naturgetreu. Bei diesem Programmpunkt Rauchen gestattet.«

Der Optimist: Das ist gewiß geschmacklos.

Der Nörgler: Nein, es ist stilvoll.

Der Optimist: Nun, ich kann den Lusitania-Fall nicht sentimental nehmen.

Der Nörgler: Ich auch nicht, nur kriminell.

Der Optimist: Die Leute waren gewarnt worden.

Der Nörgler: Die Warnung vor der Gefahr war die Drohung mit einem Verbrechen, also ging dem Mord eine Erpressung voraus. Der Erpresser kann nie zu seiner Entlastung geltend machen, daß er den Schaden, den er verübt hat, vorher angedroht habe. Wenn ich Ihnen für den Fall, daß Sie eine Leistung oder Unterlassung, auf die ich keinen Anspruch habe, verweigern, den Tod androhe, bin ich ein Erpresser und kein Warner, und hinterher ein Mörder und kein Exekutor. Rauchen gestattet. Aber mag lieb Vaterland, wenn es an die Kinderleichen denkt, noch versuchen ruhig zu sein!

Der Optimist: Das Unterseeboot konnte nicht anders als –

Der Nörgler: – den Eisberg ersetzen, der ein paar Jahre zuvor in die Titanic fuhr wie Gottes Zorn in den Wahnwitz des technischen Übermaßes, daß er die Menschheit das Schaudern lehre statt der Ehrfurcht. Jetzt besorgt die Technik selbst das Strafgericht und alles ist in Ordnung. Aber damals wurde noch Gott, der es getan, mit Namen gerufen. Den Helden dieses Unterseeboots verschweigt die Weltgeschichte. Der amtliche Bericht nennt ihn nicht. Die Behauptung der Feinde, der Mensch hätte eine Auszeichnung erhalten, wird vom Wolff (Informations) büro (in Berlin) als Lüge bezeichnet. Und mit einer Entrüstung, die hinter allem selbstbekömmlichen Tonfall der biedern Phrase endlich einmal die eigene Tat bloßstellt.

Der Optimist: Gewiß, er hat nicht den Anspruch, unter Helden wie Weddigen –

Der Nörgler: Ja, warum denn nicht? Die Tat wird ja verherrlicht. Warum wird sie nicht verschwiegen wie der Täter?

Der Optimist: Die Tat war nicht erhaben, aber nützlich. Die Lusitania hat Waffen an Bord geführt, die den Leibern deutscher Soldaten zugedacht waren.

Der Nörgler: Deutsche Waffen!