2-18. Szene                                                                                                                                                                                                       Schottenring

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(Anm. Die »Reichsorganisation der Hausfrauen Österreichs« (Rohö) war seit eine der mitgliederstärksten Frauenorganisationen in Österreich und initiierte während des Ersten Weltkriegs zahlreiche Frauenhilfsaktionen. Dazu gehörte die Unterstützung arbeitssuchender Frauen, Sammlung von Warenspenden und Geld, Ausspeisungen und Kinderbetreuung. Außerdem bemühte man sich, eine Verdienstmöglichkeit für Frauen zu schaffen und errichtete Arbeitsstuben wie Näh-, Strick- und Pelzstuben, in denen auch Aufträge für die Armee ausgeführt wurden.)

Frau Pollatschek und Frau Rosenberg (von der Reichsorganisation der Hausfrauen Österreichs), Frau Bachstelz und Frau Funk-Feigl (von der Großeinkaufsgenossenschaft der Kaufleute in Wien), Bettlerin mit einem Knaben an der Hand und einem Säugling auf dem Arm, Nörgler / Invalide auf Krücken, Schwangere

Frau Pollatschek und Frau Rosenberg treten auf.

(2.18.1)                                                                                                                                                                                                 Vier Hausfrauen

Frau Rosenberg: Verehrte Kollegin, für unser Auftreten gibt es keine Entschuldigung! Wir erwarten, daß wir Hausfrauen Österreichs auch weiterhin mit der Disziplin, von der wir schon so glänzende Proben abgelegt haben, durchhalten und nur am Donnerstag und Samstag den Einkauf von Schweinefleisch vornehmen werden. Unsere Ortsgruppen werden diese Fahne hochzuhalten wissen. Auch beim Filz (Schweinespeck)!

Frau Pollatschek: Die Rohö (Reichsorganisation der Hausfrauen Österreichs) gibt den Einkauf von Schweinefleisch und Filz (Schweinespeck) für Donnerstag und Samstag frei! (Heute ist Donnerstag.)

Frau Rosenberg: So ist es! Wir Hausfrauen Österreichs hatten (haben) die Pflicht, in dieser die vitalsten Interessen tangierenden Frage ein entscheidendes Wörtlein mitzusprechen. Wir von der Rohö konnten (können) nicht mit verschränkten Armen die Bildung der Marktpreise gewähren lassen und diesen Umtrieben zusehen, speziell beim Vordern (Teil des Rindfleischs)!

Frau Pollatschek: Was jetzt vor allem not tut, ist Einheit. (Einheit, Einheit, Einheit.) Durch Einheit zur Reinheit, (so) lautet (schon immer) mein Wahlspruch, namentlich für den Tafelspitz (fürs Hieferschwanzl, fürs Schulterscherzel und für den vorderen Spitz)!

Frau Rosenberg: Und ich möchte hinzufügen, wenn meine Meinung in dieser Sache das Zünglein an der Waage abgeben soll, daß wir uns durch keinen (keinerlei) Terrorismus abschrecken lassen werden. Per aspera ad astra, sage ich (nur nach vielen Mühen gelangt man zu den Sternen), wenigstens soweit das Hieferschwanzl in Betracht kommt. Wir von der Rohö –

Frau Pollatschek: Wissen Sie, wer dorten kommt (steht und kocht)? Die Bachstelz und die Funk-Feigl von der Gekawe (Großeinkaufsgenossenschaft der Kaufleute), beide möchten mich in einem Löffel Suppe vergiften.

(Begrüßung.)

Frau Bachstelz: Nun, verehrte Kolleginnen, wir kommen eben von der Markthalle, was sich da tut, speziell mit die Gustostückeln, hätte ich Ihnen gewünscht mitanzusehn!

Frau Funk-Feigl: Wir sind nämlich im Interesse der allgemeinen Sache, da doch jetzt jeder sein Scherflein beitragen muß und Not an Mann ist, aus voller Brust dorthin geeilt, denn wir wissen, wo es zu kämpfen gilt, im Gegensatz zu gewisse andere Leute, von denen ich nur das eine sage: Wenn das am grünen Holze (am Verhandlungstisch) geschieht, ja dann, meine Damen, kann ich nur sagen –

Frau Rosenberg: Ich bedaure sehr, liebe Dame –

Frau Funk-Feigl: Ich bin für Sie keine Dame, ich bin Aufsichtsrat von der Gekawe und hab ebenso ein Recht (hier zu kochen) wie jede von der Rohö! Es ist leicht am grünen Holz Verordnungen ausarbeiten lassen, aber dann? (In der Praxis?) Wie sagt doch Schiller, bitte »greif nur herein ins volle Menschenleben – «

Frau Rosenberg: Ich habe nur bemerken wollen, ich bedaure sehr, daß Sie sich zu Personalien hinreißen lassen, ich weiß ganz gut, daß Ihre heutige Zuschrift in der Presse seine Spitze gegen die Rohö nicht verkennen läßt, noch dazu zu einer Zeit geschrieben, wo Sie (selber) noch bei der Rohö waren –

Frau Funk-Feigl: (Das ist eine Lüge!) Das ist nicht wahr, das sag ich meinem Mann, der wird Sie (ver)klagen!

Frau Rosenberg: Von mir aus! Ich kann beweisen, was ich gesagt hab. Ich wer' Ihnen vor Gericht beweisen, daß Sie eine Eigenbrötlerin sind! Wenigstens hörn Sie (dann) einmal die Wahrheit! Sie haben gegen die Rohö intrigiert, wie Sie (selber) noch drin waren! (Sie Intrigantin! Sie Nestbeschmutzerin!)

Frau Bachstelz: Das wern Sie zu beweisen haben!

Frau Pollatschek: Ihnen sag ich ins Gesicht, hörn Sie mich an, jetzt kommt es nicht darauf an, der Eitelkeit zu frönen, merken Sie sich das! Wir gehören nicht zu jenen, die separatistischen Bestrebungen huldigen. Wenn eine der Rohö angehört, so hat sie ihr auch mit Leib und Seele anzugehören (und nicht nur auf dem Papier), unser (Zeitungs-) Organ ist der »Morgen« und die Zeit ist viel zu ernst (für irgendwelche Eitelkeiten), lassen Sie sich das gesagt sein, heute, wo Solidarität der halbe (Weg zum) Erfolg ist!

Frau Funk-Feigl: Von Ihnen wird man Solidarität lernen! (Grad von Ihnen!) Aufgewachsen (in der Gosse) !

Frau Bachstelz: Das ist echt Rohö! Verleumdungen hinter dem Rücken! Wir sparen uns die Fetten vom Mund ab, um mit gutem Beispiel voranzugehn!

Frau Funk-Feigl: Hätten Sie nicht intrigiert, wären wir noch heut bei der Rohö. Man hat uns das Messer an die Kehle gesetzt, bis wir die Gekawe haben ins Leben rufen müssen. Ich bin von Pontius zu Pilatus gelaufen. Jetzt, das garantier ich Ihnen, wird Ordnung werden, und das sag ich Ihnen heute, wenn Sie anfangen wern, unsere Erfolge sich zuzuschreiben, wern Sie auf Granit beißen!

Frau Bachstelz: Wir sparen uns den Bissen vom Mund ab –

Frau Pollatschek: Ja, für Reiherfedern!

Frau Bachstelz: Beweisen Sie das!

Frau Pollatschek: Samstag im Volkstheater bei der Premier sind Sie mit Reiherfedern gesehn worn.

Frau Bachstelz: Infamie! Sie blasen ins Horn des Reichsritters Hohenblum, schämen sollten Sie sich!

Frau Rosenberg: Beweisen? Was heißt beweisen? Auf Ihrem Hut ist der Beweis!

Frau Bachstelz: Der is vom vorigen Jahr, das wissen Sie ganz gut!

Frau Rosenberg: Das ist Vogelstraußpolitik!

Frau Funk-Feigl: Nebbich! Vom Vogel Strauß tragen Sie selbst (genug) was am Kopf!

Frau Rosenberg: Der is vom vorigen Jahr, das wissen Sie ganz gut! Ich trag eine Kriegsbluse!

Frau Funk-Feigl: Nebbich!

Frau Bachstelz: Meine Bluse und Ihre Bluse – das is wie tausend und eine Nacht! Wir waren es, die den ersten Schritt ergriffen haben zur Schaffung einer Wiener Mode!

Frau Pollatschek: Sie? Mit der Figur! Großartig! Mein Geschmack und Ihr Geschmack!

Frau Bachstelz (schreiend): Sie haben zu reden! Wenn die Zeit nicht so groß wär, möcht ich mich an Ihnen vergreifen!

Frau Rosenberg: Lassen wir diese Reklammacherinnen, zum Glück gibt es in dieser ernsten Stunde vitalere Interessen und wir, wenn wir eine Phalanx bilden, können wir dieses ohnmächtige Gekläffe verachten. Man weiß ja, woher die ganze Wut kommt.

Frau Bachstelz: Sie, wenn Sie noch einmal diese Verleumdung wiederholen!

Frau Rosenberg: Was meinen Sie? Hab ich etwas gesagt? Also weil der Inspektor gestern in der Gemeinschaftsküche mit uns länger gesprochen hat wie mit Ihnen, deshalb müssen Sie nicht gleich aufgeregt sein meine Liebe –!

Frau Bachstelz (in Paroxysmus – in einem Anfall): Diese infame Insination werden Sie – warten Sie – ich schick meinen Mann über Sie – passen Sie auf, die ganze Oezeg (Zentraleinkaufsgesellschaft, zwecks Beschaffung von Lebensmitteln) kommt über Sie!

Frau Rosenberg: Mein Mann wird schon mit ihm fertig wern und mit allen, da können Sie unbesorgt sein! Er hat die ganze Miag (Milch-Industrie AG) hinter sich! Ein Wink von ihm, kommt noch die Ufa und die Wafa (Waffen-Fabriks-Gesellschaft) über Sie – mein Mann is (dort) Verwaltungsrat!

Frau Bachstelz: No, ruft mein Mann die lwumba! Mein Mann is kaiserlicher Rat! Wie Ihr Mann enthoben (vom Militärdienst befreit) worn is, weiß man!

Frau Rosenberg: Ja Protektion hat er gehabt, no – und? Sie zerspringen, weil er Verbindungen hat. Er is intim bei der Sawerb (Werbeabteilung der Sascha-Film). Warten Sie, alles wer' ich in der Ausschußsitzung zur Sprache bringen, für ein Mißtrauensvotum in der Generalversammlung garantier ich Ihnen!

Frau Funk-Feigl: Sie selbst sind der größte Ausschuß, Sie fliegen aus der Rohö heraus, das garantier ich Ihnen, die Gekawe wird Ihnen zeigen – ich hab Verbindungen, ich geh hinauf (bis) zur Presse –

Frau Pollatschek: Im nächsten »Morgen« wern Sie lesen – warten Sie, wir von der Rohö –

Frau Funk-Feigl: Fangen Sie sich nichts mit uns an, wir von der Gekawe –

(Alle vier schreien durcheinander, wobei man aus dem Lärm nur die Worte Rohö und Gekawe heraushört, und gehen heftig gestikulierend ab.)


(2.18.2)                                                                                                                                                                                                                   Nörgler

(Ein Invalide auf Krücken humpelt vorbei. Eine Bettlerin, mit einem Knaben an der Hand und Säugling am Arm tritt auf.)

Die Bettlerin: Extraausgabee – Neue Freie Presse –

Der Knabe: Neue Feile Pesse –

Der Säugling: Leie – leie – lelle

(Eine Schwangere geht vorbei.)

Der Nörgler:
     (spricht das Gedicht »Beim Anblick einer Schwangeren«)

                                O rührend Anbot in der Zeit des großen Sterbens!


Nein, besser wird uns dieses Zwischenspiel entzogen.


Zwar weist es auf die letzten Spuren von Natur hin,


die diese Unmenschheit noch nicht verlassen konnte,


die Tod beschließt und dennoch Leben nicht verleugnet.


Doch es kommt selten etwas Bessres nach. Seht weg denn,


die letzte Menschlichkeit des heute andern Zielen


verpflichteten Geschlechts hat etwas Peinigendes.


Unheimlich ist die Vorstellung, daß dieses Weib da,


die so sich zeigt, so stillen Schrittes ihre Hoffnung


ins Leben trägt, so voll von heiligem Auftrag,


der Schmerz zugleich und Segen, in der nächsten Stunde


gebären könnte einen Heereslieferanten.


Der Stolz der Mutterschaft, so groß in aller Vorzeit,


das größte Mitgefühl von Unmaß abzuweisen,


war besser auch so stolz, den unberufnen Blicken


nicht die nur ihm bewußte Harmonie der Schöpfung


zu zeigen. Doch vor dieser mißgeformten Menschheit


ist er nicht mehr berechtigt.

Er soll selber wegsehn.
Stolz werde wieder Scham.

Sieh du jetzt weg, du Mutter,
du bist zu schwach allein,

und bist auch unbescheiden;


dies ist ein gütiger Versuch, doch auch ein Anspruch


vor hunderttausend Müttern, die es sehn und wissen,


daß sie ja doch den größern Schmerz erlitten haben


als er der einen erst bevorsteht.

Geh nach Hause,
was trägst du deine Bürde auf den Markt,

als wäre,
was du der Welt zu bieten hast, bei weitem besser


als das was sie verloren hat, nein mehr, als ob nun,


jetzt endgiltig das neue, letzte Heil erstünde,


als wär' ein Sokrates die allerkleinste Gabe,
die hier in Aussicht steht.

Wir haben viel zu schlechte
Erfahrungen gemacht.

Wir sind in jedem Falle,
und wär's der beste,

nicht mehr neugierig und wünschen,


daß die Erwartung deine Muttersache bleibe,


so keusch wie sie's verdient, bis einstens die Erfüllung


das Nachschaun einer Welt verlohnt.

Geh heim, wir kommen,
wenns an der Zeit,

bis dahin mit dir leidend, Mutter,


nicht tieferes Leid für dich als für das neue Leben,


das dank dem Mutterfluch einrückt ins alte Sterben,


der Opfer größtes durch Geburt.

Geh, mach dich tauglich.
Wart auf den Jahrgang.

Freiwillige, was bringst du?


Halt dich zuhaus, ein Tag ist wie der andere, immer


sieht tot wie tot aus. Geh! wir wollen überrascht sein.