2-19.Szene Belgrad.
Zerstörte Häuser (Schalek 4)
Kriegsberichterstatterin Alice
Schalek, serbische Frauen, Dolmetsch
Die Schalek
tritt auf.
Die Schalek:
Ich habe mich durchgeschlagen. Hier intressiert mich wie immer vor allem das
allgemein menschliche Moment. Das soll eine Kultur sein? Diese Häuser sind mit
den letzten Geschäftshäusern in Fünfhaus zu vergleichen, sie haben deshalb die
Bombardierung verdient. Die Trostlosigkeit dieser Stätte ist so groß, daß an
eine photographische Wiedergabe überhaupt nicht zu denken ist. Was mich aber
immer wieder empört, ist, daß die Stadt nicht einmal gepflasert war. Das mag
dem Entschluß, sie dem Erdboden gleich zu machen, zu Hilfe gekommen sein. Nicht
einmal der Konak bietet etwas. Was wir als Andenken mitgenommen haben, ist
nicht der Rede wert. Was ist das auch für ein König, der ein
Porzellanservice von Wahliß hat! Es gibt noch eine ausgleichende
Gerechtigkeit des Schicksals. Dieser Gedanke verfolgt mich durch ganz Belgrad.
Wenn man nur wüßte, ob das die Häuser derjenigen sind, die den
Nationalfanatismus erfanden? Ich habe mich zur Überzeugung durchgerungen, daß in einer solchen Stadt keine Individualitäten wohnen
konnten.
(Einige serbische Frauen erscheinen, die ihr
entgegenlachen. Eine streicht kosend über die Wange der Schalek. Dann zuckt ein
rasches Gespräch zwischen ihnen hin und her, und wieder lachen sie alle, laut,
hell und froh.)
Die Schalek (beiseite):
Dieses Lachen, dessen Ursache ich nicht erfragen kann, reißt an meinen Nerven,
denn jede Möglichkeit auf der Stufenleiter menschlicher Gefühle ist heute
denkbar, bis gerade auf das Lachen, für welches das zerschossene Belgrad keine
Gelegenheit bietet.
(Eine der serbischen Frauen bietet der Schalek
Eingemachtes an und lacht.)
Die Schalek:
Ein irritierendes Rätsel.
(Ein Dolmetsch tritt auf.)
Der Dolmetsch (nachdem
er mit den Frauen gesprochen hat): Sie sagen, es heiße nur ein paar
furchtbare Tage durchhalten. Die Eroberung ihrer Stadt halten die Belgrader für
ein Intermezzo. Sie glauben, daß wir wieder bald draußen sein werden, und so
lachen sie schadenfroh. („Schießt nur und sprengt und nistet Euch ruhig ein,
– jauchzend werden die Unsrigen zurückkommen und Euch davontreiben.
Frankreich wird mit uns sein!“)
Die Schalek:
Das kann nicht der einzige Grund sein. Fragen Sie sie, was sie empfinden und
warum sie mir Eingemachtes gibt.
Der Dolmetsch (nachdem
er mit der Frau gesprochen hat): Sie sagt, nichts könne serbische Gastfreundschaft
außer Wirkung setzen.
Die Schalek:
Aber warum gerade Eingemachtes?
Der Dolmetsch (nachdem
er mit der Frau gesprochen hat): Sie sagt, sie wollten zeigen, daß sie
Frauen seien, und Eingemachtes sei das Gebiet der Frauen.
Die Schalek (nimmt
das Eingemachte): Diese Frauen will ich nicht wiedersehen, will ihre
gräßliche Enttäuschung nicht miterleben, denn Schlimmeres noch als eingestürzte
Häuser und als zerschossene Straßen, Schlimmeres als die Verjagung des Heeres
und die Erstürmung der Stadt – das Schlimmste steht den Serben noch
bevor.
(Die serbischen Frauen lachen.)
Die Schalek (im Abgehen): Schaudernd ziehe ich davon, und das
Lachen hallt lange in mir nach.
(Die serbischen Frauen gehen nach der anderen Richtung
ab, man hört noch ihr Lachen.)
(Und dann lacht sie mich an, genau so herzhaft hell und
vergnügt, wie jene anderen Frauen drunten am Hafen. Diesmal aber erfahre ich
durch den Dolmetsch die Lösung des irritierenden Rätsels. Ein Intermezzo ist
für die Belgrader die Eroberung ihrer Stadt, und sie sagen sich, es heiße ein
paar furchtbare Tage durchzuhalten. Keiner glaubt hier, daß wir die Stadt
behaupten werden, und so lachen sie schadenfroh .... – Schaudernd ziehe ich davon, und das Lachen hallt lange in mir nach. Diese
Frauen will ich nicht wieder sehen, will ihre gräßliche Enttäuschung nicht
miterleben, denn Schlimmeres noch als eingestürzte Häuser und als zerschossene
Straßen, Schlimmeres als die Verjagung des Heeres und als die Erstürmung der
Stadt — das Schlimmste steht den Serben noch bevor: Das langsame
Verdämmern der Zuversicht, das langsame Erlöschen des Vertrauens und die jäh
hereinbrechende Gewissheit des Unterganges – mit einem Wort: das Erwachen.“)
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