2-30. Szene                                                                         Irgendwo an der Adria. Im Hangar einer Wasserfliegerabteilung (Schalek 5)

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Kriegsberichterstatterin Alice Schalek, Fregattenleutnant

Die Schalek (tritt ein und sieht sich um): Von allen Problemen dieses Krieges beschäftigt mich am meisten das der persönlichen Tapferkeit. Schon vor dem Kriege habe ich oft über das Heldische gegrübelt, denn ich bin genug Männern begegnet, die mit dem Leben Ball spielten – amerikanischen Cowboys, Pionieren der Dschungeln und Urwälder, Missionären in der Wüste. Aber die sahen zumeist auch so aus, wie man sich Helden vorstellt, jeder Muskel gestrafft, sozusagen in Eisen gehämmert. Wie anders die Helden, denen man jetzt im Weltkrieg gegenübersteht. Es sind Leute, die zu den harmlosesten Witzen neigen, ein stilles Schwärmen für Schokolade mit Obersschaum haben und zwischendurch Erlebnisse erzählen, die zu den erstaunlichsten der Weltgeschichte gehören. Und doch. – Das Kriegspressequartier ist jetzt auf einem leeren Dampfschiff einquartiert, das in einer Bucht verankert liegt. Abends gibt es großes Essen, es geht bei Musik hoch her; schließt man die Augen – fast träumte man sich zu einem fidelen Kasinoabend zurück. Nun, ich bin gespannt, wie dieser Fregattenleutnant – ah, da ist er! (Der Fregattenleutnant ist eingetreten.) Ich habe nicht viel Zeit, fassen Sie sich kurz. Sie sind Bombenwerfer, also was für Empfindungen haben Sie dabei?

Der Fregattenleutnant: Gewöhnlich kreist man ein halbes Stündchen über der feindlichen Küste, läßt auf die militärischen Objekte ein paar Bomben fallen, sieht zu, wie sie explodieren, photographiert den Zauber und fährt dann wieder heim.

Die Schalek: Waren Sie auch schon in Todesgefahr?

Der Fregattenleutnant: Ja.

Die Schalek: Was haben Sie dabei empfunden?

Der Fregattenleutnant: Was ich dabei empfunden habe?

Die Schalek (beiseite): Er mustert mich ein wenig mißtrauisch, halb unbewußt abschätzend, wie viel Verständnis für Unausgegorenes er mir zumuten dürfe. (zu ihm:) Wir Nichtkämpfer haben so erdrückend fertige Begriffe von Mut und Feigheit geprägt, daß der Frontoffizier stets fürchtet, bei uns für die unendliche Menge von Zwischenempfindungen, die in ihm fortwährend abwechseln, keine Zugänglichkeit zu finden. Hab ich's erraten?

Der Fregattenleutnant: Wie? Sie sind Nichtkämpfer?

Die Schalek: Stoßen Sie sich nicht daran. Sie sind Kämpfer, und ich möchte wissen, was Sie da erleben. Und vor allem, wie fühlen Sie sich nachher?

Der Fregattenleutnant: Ja, das ist sonderbar – wie wenn ein König plötzlich Bettler wird. Man kommt sich nämlich fast wie ein König vor, wenn man so unerreichbar hoch über einer feindlichen Stadt schwebt. Die da unten liegen wehrlos da – preisgegeben. Niemand kann fortlaufen, niemand kann sich retten oder decken. Man hat die Macht über alles. Es ist etwas Majestätisches, alles andere tritt dahinter zurück, etwas dergleichen muß in Nero vorgegangen sein.

Die Schalek: Das kann ich Ihnen nachempfinden. Haben Sie schon einmal Venedig bombardiert? Wie, Sie tragen Bedenken? Da werde ich Ihnen etwas sagen. Venedig als Problem ist auch langen Grübelns wert. Voll von Sentimentalität sind wir in diesen Krieg gegangen –

Der Fregattenleutnant: Wer?

Die Schalek: Wir. Mit Ritterlichkeit hatten wir ihn zu führen vorgehabt. Langsam und nach schmerzhaftem Anschauungsunterricht haben wir uns das abgewöhnt. Wer von uns hätte nicht vor Jahresfrist noch bei dem Gedanken geschauert, über Venedig könnten Bomben geworfen werden! Jetzt? Konträr! Wenn aus Venedig auf unsere Soldaten geschossen wird, dann soll auch von den Unsern auf Venedig geschossen werden, ruhig, offen und ohne Empfindsamkeit. Akut wird das Problem ja erst werden, bis England –

Der Fregattenleutnant: Wem sagen Sie das? Seien Sie beruhigt, ich habe Venedig bombardiert.

Die Schalek: Brav!

Der Fregattenleutnant: In Friedenszeiten pflegte ich alle Augenblicke nach Venedig zu fahren, ich liebte es sehr. Aber als ich es von oben bombardierte – nein, keinen Funken von falscher Sentimentalität verspürte ich dabei in mir. Und dann fuhren wir alle vergnügt nach Hause. Das war unser Ehrentag – unser Tag!

Die Schalek: Das genügt mir. jetzt erwartet mich Ihr Kamerad im Unterseeboot. Hoffentlich hält der sich auch so wacker wie Sie!