3-10. Szene                                                                                                                                                     Ein chemisches Laboratorium in Berlin

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(Anm. Bereits im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts propagierte der Molekularbiologe Max Delbrück (1850-1919), Direktor des Berliner Instituts für Gärungsforschung, Hefe als billiges Nahrungsfleisch, wobei bei Verwendung der jährlich als Abfall der Brauereiindustrie anfallenden Menge die Proteinversorgung von etwa neun Millionen Menschen sichergestellt werden könnte. 1911 wurde an seinem Institut eine Abteilung für Hefeverwertung eingerichtet, die in Absprache mit dem Kriegsausschuss für Ersatzfutter, der 1915 alle Verfahren zur Hefezüchtung beschlagnahmte, ein industrielles Produktionsverfahren für Eiweißhefe entwickelte. Zehn Futterhefefabriken produzierten fortan auf Basis von Zuckerrüben-Melasse als Nährmedium mit der Wildheferasse candida utilis wertvolle Proteine. Zeitweise sollen 60 Prozent des Futtermittelbedarfs in Deutschland auf diese Weise gedeckt worden sein. Als Hefetrockenpulver fand das Produkt auch weite Verbreitung für die menschliche Ernährung.)

(„Die Wissenschaft triumphiert. Das Werk ist gelungen. Die Chemie hat das Wunder bewirkt. Aus Harnstoff wird Nährhefe erzeugt, deren Eiweißgehalt hohen Nährwert besitzt ! Was sich ein deutsches Forscherhirn in strenger Arbeit mühsam abgerungen hat, das verstehen findige Kapitalisten in reichen Gewinn auszumünzen. Und darum kostet das Kilogramm Mineralnährhefe, gleich 3.60 Mark! Schade nur, daß das Zeug trotz des verschwenderischen Beisatzes unheimlicher Mengen des heute ach so raren Zuckers immer noch so grauenhaft schmeckt und gar so abscheulich stinkt. Der unangenehme Geruch der Mineralnährhefe, den selbst die bayrische Lebensmittelstelle wiederholt beanstandet hat. Wird gläubigen Käufern damit zu erklären versucht, daß man einfach behauptet, die Mineralnährhefe sei aus Fischmehl hergestellt. Ebenso wie man dem Heringsgeruch eine so harmlose Deutung zu geben wagt, wird natürlich auch der ekle Petroleumgeschmack leicht auf Fischtran zurückzuführen sein. Daß dies eine grobe Täuschung des Publikums ist, scheint ja heute keine Rolle mehr zu spielen. Der üble Geruch und der widerliche Geschmack sollen sich beim Kochen vollständig verlieren. Das glauben nicht einmal die Volksküchengäste, die zuerst den Vorzug genossen, mit diesem »einwandfreien« Ersatznährmittel beglückt zu werden. Wenn man sich aber gar zu der kühnen Behauptung versteigen will, daß die Mineralnährhefe den Speisen einen »feinen Wohlgeschmack« gebe, so grenzt das schon an Wahnwitz.“ (KK))

Der geheime Regierungsrat Agrochemiker Professor Max Delbrück

Der geheime Regierungsrat Professor Delbrück (sinnend): Die englischen Zeitungen verbreiten seit einiger Zeit wieder mal allerlei Mitteilungen über den angeblich schlechten Ernährungszustand der deutschen Bevölkerung. Es spricht nicht gerade für die große Kriegsfreudigkeit unter dem englischen Volke, wenn seine Stimmung immer wieder durch die Verbreitung solcher Nachrichten gehoben werden muß, die allesamt mit den Tatsachen in direktem Widerspruch stehen. Ärztlicherseits wurde ausdrücklich die Bekömmlichkeit der gegenwärtigen Kriegskost festgestellt, der wir es zu verdanken haben, daß die Erkrankungen, bei Männern wie bei Frauen, in ständigem Rückgang begriffen sind. Von den Säuglingen gar nicht zu reden, für die in völlig ausreichender und vorbildlicher Weise gesorgt wird. Sogar das (Nachrichtenbüro Wolff) Wolffbüro (in Berlin) muß zugeben, daß unsere Krankenhäuser im Kriege weit weniger belegt sind als in Friedenszeiten und daß die vereinfachte Lebensweise für viele Personen direkt gesundheitsfördernde Wirkungen gehabt hat.

                Und nun gedenke ich in der 66. Generalversammlung des Vereines der Spiritusfabrikanten Deutschlands auseinanderzusetzen, daß wir diesen Erfolg zuvörderst der Mineralnährhefe zu verdanken haben.

(Stellt sich in die Positur des Redners.)

                Der Eiweißgehalt der Mineralnährhefe, der ihren Nährwert bestimmt, wird vorzugsweise durch die Verwendung von Harnstoff gewonnen.

                Meine Herrn! Wir erleben hier einen Triumph des reinen Geistes über die rohe Materie. Die Chemie hat das Wunder bewirkt! Eine schon 1915 begonnene Arbeitseinrichtung wurde aufs neue mit großem Erfolge aufgenommen: die Ersetzung des schwefelsauren Ammoniaks bei der Erzeugung der Hefe durch Harnstoff.

                Meine Herrn! Ist aber der Harnstoff so zu verwenden, so liegt auch die Möglichkeit vor, in derselben Richtung den Harn und die Jauche heranzuziehen.