3-40. Szene                                                                          Das deutsche Bad Groß-Salze (in Sachsen-Anhalt). Vorn ein Kinderspielplatz

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(Anm. Das norddeutsche Wort »wahnschaffen« bedeutet »mißgestalt, hässlich, unförmig«. Diese Szene ist das deutsche Pendant zur letzten Szene im zweiten Akt, im Hause des Ehepaars Schwarz-Gelber. »In der Szene stellt sich die Geistesverfassung des deutschen Volkes dar. Die Symbolik der Kindergespräche, in denen sich das Tragische in tragischerer Spaßhaftigkeit abbildet, ist in dem Sinne ein Doppelspiel, daß hier die furchtbare Frühfertigkeit der deutschen Kinder, deren Soldatenspiel das der Erwachsenen verzerrt, wie dieses selbst sich ineinander spiegeln und in beiden Erscheinungen jene Gespenster verwirklicht sind, die damals in den Generationen gelebt haben und leider Gottes heute noch leben. Denn die deutschen Ereignisse zeigen, daß Wahnschaffe noch immer nicht sein Lied des Alldeutschen ausgesungen hat, die unendliche Melodie der Weltbedrohung, die ich ihn singen lasse.« (Karl Kraus, Die Fackel 544) – Die Alldeutsche Vereinigung Österreich-Ungarns forderte wie die Großdeutschen die Vereinigung aller deutschsprachigen Bevölkerungsgruppen Europas in ein Großdeutsches Reich unter der Führung Preußens. Damit traten sie in Gegensatz zu den Großdeutschen der Donaumonarchie, die die Führung Deutschlands weiterhin bei Österreich sehen wollten.)

Kommerzienrat Ottomar Wilhelm Wahnschaffe, unsichtbarer Chor der das Gelächter des Auslands vorstellt; Frau Kommerzienrat Auguste Wahnschaffe, ihre Kinder Willichen und Mariechen, Zwei vorbeihumpelnde Invalide; erste Bonne mit dem dreijährigen Knaben Fritze; Hänschen und Trudchen; Hans Adalbert (3 Jahre) und Annemariechen (2½ Jahre); August und Guste; zweite Bonne mit dem dreijährigen Mädchen Mieze; Klaus und Dolly; Walter und Marga; Paulchen und Paulinchen; Jochen und Suse; Mutter mit Töchterchen Elsbeth, ein Herr; erster Vater mit seinem Söhnchen; zweiter Vater mit seinem Söhnchen

Ausblick in eine Allee, vor deren Eingang rechts eine Tafel: »Macht Soldaten frei!«, links eine Tafel: »Für Verwundete kein Zutritt.« – Links die Villa Wahnschaffe, ein mit Zacken, Zinnen und Türmchen verziertes Gebäude, von dessen Giebel eine schwarzrotgoldene und eine schwarzweißrote Fahne flattern. Unterhalb des Giebels in einer Nische die Büste Wilhelms II. Über dem Eingang eine Inschrift mit den Worten: »Mit Herz und Hand für Gott, Kaiser und Vater-land!« Ein karges Vorgärtchen, in welchem Figuren von Rehen und Gnomen aufgestellt sind, mitten unter ihnen eine alte Ritterrüstung. Vor dem Eingang, rechts und links zwei Modelle von Mörsergeschossen, das eine mit der Inschrift: »Immer feste druff!«, das andere mit: »Durchhalten!« Die Spitzbogenfenster an der Front haben Butzenscheiben.

(3.40.1)                                                                                                                Kommerzienrat Wahnschaffe – Das Lied des Alldeutschen

Kommerzienrat Ottomar Wilhelm Wahnschaffe (ein alldeutscher Industrieller, früherer Staatssekretär, in dem der Treubund von Junker und Schieber personifiziert ist) tritt aus der Villa und singt (als »unendliche Melodie der Weltbedrohung«) das folgende Couplet (das »Lied des Alldeutschen. Das Unsägliche findet seinen Ausdruck in einer beispiellos barbarischen Melodie«,) dessen musikalisches Nachspiel zu jeder Strophe von einem unsichtbaren Chor mitgesungen wird, der das Gelächter des Auslands vorstellt.

Musik

 

Kommerzienrat Ottomar Wilhelm Wahnschaffe (singt):

Ob unter See, ob in der Luft, wen Kampf nicht freut, der ist ein Schuft.

Doch weil das Schuften ich gewohnt, so schuft' ich nicht bloß an der Front,

ich kämpf' auch schneidig und gewandt und halte durch im Hinterland,

ich schufte früh, ich schufte spat, die Schufte das erbittert hat.

Nur feste druff! Ich bin ein Deutscher!

Im Frieden schon war ich ein Knecht,
drum bin ich es im Krieg erst recht.


Hab stets geschuftet, stets geschafft,
vom Krieg alleine krieg' ich Kraft.


Weil ich schon vor dem Krieg gefrohnt,
hat sich die Front mir auch gelohnt.


Leicht lebt es sich als Arbeitsvieh
im Dienst der schweren Industrie.


Heil Krupp und Krieg! Ich bin ein Deutscher!

Ich scheue keine Müh' und Plag',
zu wenig Stunden hat der Tag.


Daß fester steh am Rhein die Wacht,
hab' ich die Nacht zum Tag gemacht.


Weil vor dem Krieg ich nicht geruht,
drum gibt es Krieg und uns gehts gut.


Wir schlagen uns mit Vehemenz
und schlagen kühn die Konkurrenz.


In Not und Tod: Ich bin ein Deutscher!

Ich geb' mein deutsches Ehrenwort:
wir Deutsche brauchen mehr Export.


Um an der Sonne 'nen Platz zu haben,
gehn wir auch in den Schützengraben.


Zu bessrer Zukunft Expansionen
hilft uns so unbequemes Wohnen.


Einst fragt' ich nicht nach Gut und Geld,
der neue Deutsche ist ein Held.


Der neue Deutsche ist ein Deutscher!

Krieg dient uns, damit Waffen sind,
wir drehn den Spieß, wer wagt gewinnt.


Das Lebensmittel ist uns Zweck,
drum nehmen wir vorlieb mit Dreck.


Wir mischen Handel mit Gebet,
die Kunst im Dienst des Kaufmanns steht.


Es war einmal, doch jetzt ist's aus,
Walhalla ist ein Warenhaus.


Für Ideale lebt der Deutsche!

In solchem Leipziger Allerlei
lebt es sich fromm, jedoch nicht frei.


Fehlt es dann aber auf dem Tisch,
lebt es sich fröhlich, doch nicht frisch.


Lebt von der Hand sichs nur zum Mund,
so ist das Leben ungesund.


Denn mehr noch von dem Mund zur Hand
hält durch des Deutschen Vaterland.


Von Idealen lebt der Deutsche!

Für dies Prinzip, und es ist gut,
schwimmt heute der Planet in Blut.


Für Fertigware und Valuten
muß heut' die ganze Menschheit bluten.


Nehmt Gift für Brot, gebt Gold für Eisen
und laßt den deutschen Gott uns preisen!


Gebt Blut – habt ihr das nicht gewußt? –
für Mark: das ist kein Kursverlust!


Darum erhofft Profit der Deutsche!

Steht unsre Sache mal so so,
gibt Wahrheit uns das Wolffbüro.


Doch geht die andre Wahrheit aus,
verköstigen wir uns doch im Haus,


Fehlt selbst das Fremdwort Surrogat,
wir Deutsche wissen dennoch Rat.


Wir setzen prompt an seinen Platz
das gute deutsche Wort Ersatz.


Auf deutsch gesagt: Ich bin ein Deutscher!

Der Hungerplan wird ausgelacht,
den Willen haben wir zur Macht.


Im U-Boot sitzend lachen wir
und sagen einfach: Machen wir;


um Zeit zu sparen, auch: m. w.
Die Schiffahrt lernt man auf der Spree.


Was nützt den Feinden alle List,
die Mahlzeit machen wir aus Mist.


Nicht unterkriegt der Krieg den Deutschen!

Und wenn die Welt voll Teufel wär'
die Fibel sagt: Viel Feind, viel Ehr.


Drum: Deutschland über alles setzt
sich kühn hinweg zuguterletzt.


Weil bei uns alles schneidig ist,
die ganze Welt uns neidig ist.


Gott weiß allein, wir sind so brav,
wir wünschen, daß er England straf'.


Beim deutschen Gott, ich bin ein Deutscher!

Wir preisen Gott auf unsre Weise
wie vor dem Krieg zum alten Preise.


Zur Ehre Gottes, des gerechten,
woll'n wir auch gern im Schatten fechten.


Gäb's alleweil nur Sonnenschein,
man könnt' des Lebens sich nicht freun.


Das wahre Glück bringt Schießen nur,
drum gaudeamus igitur.


Ein muntrer Bursche bleibt der Deutsche!

Das eine aber weiß ich nur,
wir Deutsche haben mehr Kultur.


Kultur, bei allen andern Gaben,
ist mit das Beste, was wir haben.


Wir schwärmen für die Schlachtenlenker,
doch sind wir auch das Volk der Denker.


Gern woll'n für Schillern und selbst Goethen
wir ein »Denn er war unser« beten.


Mit Bildung schmückt sein Heim der Deutsche!

Deutsch ist das Herz, deutsch der Verstand,
mit Gott für Krupp und Vaterland!


Die Grenzen sichert Hindenburch,
im Innern halt ich selber durch.


Wir Deutsche haben zu viel Glück;
gehn wir bescheiden drum zurück,


nimmt man, des Sieges sich zu freun,
die eigne Siegfriedstellung ein.


Hurra! sagt in dem Fall der Deutsche!

Wir sagen stolz: Viel Feind, viel Ehr!
Belegte Brötchen gibts nicht mehr.


Und mangels derer unentwegt
die Welt mit Bomben wird belegt.


Uns hilft die deutsche Wissenschaft
nebst Gott, der eben England straft


und der den Menschen nur erschuf,
zu dreschen immer feste druff.


Denn Gottes Ebenbild ist nur der Deutsche!

Noch lieber laßt uns als den Feind
die Phrase dreschen, die uns eint.


Am Ende wird die Wahrheit stehn:
Der Kampf wird bis zum Ende gehen!


Wir sorgen, daß uns nicht entgeh'
das erzne Becken von Briey.

Der Friede uns nicht intressiert,
eh wir die Welt nicht annektiert.


Die wenigstens gehört dem Deutschen!

Es geht uns doch nur um die Ehr'.
Nein, Belgien geben wir nicht her!


Wir halten rein das Ehrenkleid;
in Ehre wissen wir Bescheid.


Der Endsieg unser Recht beweist:
die Welt wird von uns eingekreist!


So muß und wird es uns gelingen,
die Pofelware anzubringen.


Ja, made in Germany ist doch der Deutsche!

Nur weil man etwas Sonne braucht,
haben wir die Welt in Nacht getaucht.


Mit Gift und Gasen, Dunst und Dämpfen
woll'n bis zum jüngsten Tag wir kämpfen.


Denn bis wir Gottes Donner hören,
muß unsrer uns Ersatz gewähren.


Drum überall und auf jeden Fall
braust unser Ruf wie Donnerhall.


Ist das nicht praktisch von dem Deutschen?

Schon brennt die Erde lichterloh
dank unserm Fenriswolff-Büro.

Solang es andere Völker gibt,
ist leider unsres nicht beliebt.


Wo man nichts auf die Waffe setzt,
wird unsre Leistung unterschätzt.


Die Welt will weniger Krawall,
und unsrer braust wie Donnerhall.


So hört man überall den Deutschen!

Nach'm Krieg wird noch mehr Arbeet sein
und noch mehr Krieg und noch mehr Pein.


Wie freue ich mich heut' schon drauf,
die Liebe höret nimmer auf.


Ach, wenn nur schon der Friede wär',
damit ich seiner müde wär'!


Es gilt die Technik auszubaun.
Zum U-Boot haben wir Vertraun.


Den Fortschritt liebt nun 'mal der Deutsche!

Wir woll'n die Wehrpflicht dann verschärfen,
die Kleinen lehren Flammen werfen.


Wir woll'n indes auch für die Alten
die Kriegsdienstleistung beibehalten.


Was wir gelernt, nicht zu verlernen,
läßt uns vermehren die Kasernen.


Die Welt vom Frieden zu befrein,
steht fest und treu die Wacht am Rhein.


Aus der Geschichte lernt der Deutsche!

Und wenn die Welt voll Teufel wär',
und wenn sie endlich menschenleer,


wenn's endlich mal verrichtet ist
und jeder Feind vernichtet ist,


und wenn die Zukunft ungetrübt,
weil es dann nur noch Preußen gibt –


nee, darauf fall'n wir nicht herein!
Fest steht und treu die Wacht am Rhein!


Und weiter kriegt und siegt der Deutsche!

(Ab.)

 

(3.40.2)                                                                                                                                                             Frau Kommerzienrat Wahnschaffe

Nachdem er abgegangen ist, erscheint seine Gattin, Frau Kommerzienrat Auguste Wahnschaffe mit ihren Kindern, die sich sogleich auf dem Spielplatz verlieren, um sich mit einem Kriegsspiel zu beschäftigen.

Frau Kommerzienrat Wahnschaffe: Ich habe nur zwei Kinder, die leider noch nicht militärtauglich sind, umsoweniger als das eine zu unserem Leidwesen ein Mädchen ist. So muß ich mir mit 'nem Ersatz behelfen, indem ich mich der Vorstellung hingebe, daß mein Junge schon an der Front war, aber selbstverständlich bereits den Heldentod gefunden hat, ich müßte mich ja in Grund und Boden schämen, wenn's anders der Fall, wenn er mir etwa unverwundet heimgekehrt wäre. Keinesfalls dürfte er mir in der Etappe sein, wiewohl sich ja auch dorthin eine Kugel leicht verirrt. Diese Vorstellung, die mit der beste Trost ist, den ich habe, und die ich gegen jeden Zweifel behaupte, indem ich den Zweifel mühelos abweise, diese Vorstellung befestige ich in der Zeit, die Ottomarchen zu schaffen hat. Ich bin also eigentlich immer beschäftigt, bis auf die halbe Stunde, die sich Männe, der soeben schaffen gegangen ist, zum Essen Zeit nimmt.

                Was nun dieses Essen anlangt, so behelfe ich mir als tüchtige Hausfrau auch hier mit Vorstellungen. Heut waren wir in diesem Punkte gut versorgt. Es gab allerlei. Wir hatten da eine bekömmliche Brühe aus Hindenburg-Kakao-Sahne-Suppenwürfel »Exzelsior«, einen schmackhaften Falschen Hasen-Ersatz mit Wrucken-Ersatz, Kartoffelpuffer aus Paraffin und 'nen Musbrei nach Hausmannsart, versteht sich alles auf der Bratpfanne »Obu« bereitet, und zum Schlusse Schillerlockenersatz, der uns trefflich gemundet hat. Eine deutsche Hausfrau weiß, was sie ihrem Gatten in dieser ernsten, aber großen Zeit schuldig ist. Zwar Männe machte Männchen, weil er seine leckern Hausmacher-Eiernudeln nicht bekam. Is nich; so mußte er sich dreinfinden. Was uns anfangs sehr abging, war Margarineersatz, aber da wir Obu haben, so fehlt es uns jetzt an nichts mehr. In der Hausfrauenvereinigung haben wir neulich einstimmig beschlossen, daß die Mineral-nährhefe, deren Eiweißgehalt vorzugsweise durch die Verwendung von Harnstoff gewonnen wird, in Bezug auf Nährwert der Brauereihefe gleichkommt und darum nicht mehr ausschließlich an die Volksküchen verteilt werden dürfe. Es ist heute Mode, den breiten Schichten der Bevölkerung entgegenzukommen. Diese einseitige Bevorzugung muß ein Ende haben. Die bürgerlichen Kreise wollen auch leben. Die Miesmacher, die selbst hier was dawider haben, wenden ein, daß das Ding einen Heringsgeruch und einen Petroleum-geschmack habe und dadurch imstande sei, Ekel zu erregen. Wir deutschen Hausfrauen wissen aber Bescheid und wir hoffen, daß sich diese Eigentümlichkeiten beim Kochen vollständig verlieren werden, ja wir sind überzeugt, daß die Mineralnährhefe den Speisen einen feinen Wohlgeschmack verleiht.

                Ist das Mittachbrot vorbei, so kommt wieder die Sorge um's Amdbrot. Zum Amdbrot gibts heut wie immer Eintopfgericht, zur Abwechslung aber Leberwurst aus Stärkekleister und rotgefärbtem Gemüse und als Käseersatz Berliner Quark mit Paprikaersatz, auch erproben wir heute das vielgerühmte Alldarin mit Eiersatz Dottofix aus Schlemmkreide mit Backpulver und etwas Salatfix, ein köstlicher Zusatz, den ich dem Salatin wie dem Salatol beiweitem vorziehe. Denn für den deutschen Familientisch ist das Beste gerade gut genug und es ist alles da, nich so wie bei arme Leute. Zur Vesper versuchten wir gestern Deutschers Teefix mit Rumaroma und waren recht angenehm überrascht. Zwar die Kinderchen machten Radau, weil sie ihre Rumgranaten Marke »Unsern Kriegern stets das Beste« nicht hatten. Männe bekam sein Eichelwasser, das beinahe so schmackhaft ist wie Tutti-Gusti-Kaffe Marke Schützengraben, der ja nun alle ist. Leider aber mußten wir uns ohne Süßstoffwasserersatz behelfen, so daß die Spritze leer neben jestanden hat. Ich wollte, einer raschen Eingebung folgend, sie mit Wasserstoffersatz füllen, um Männe die Vorstellung zu erhalten; es hieße aber den Gatten betrügen und wenn mal ein Schritt vom Wege getan ist, so folgt bald der zweite nach. So tat ich's denn nicht. Die schönen Zeiten sind nu mal vorbei, wo man's noch bequem hatte und einfach zu spritzen brauchte, um den Kriegs-Kaffee-Ersatz zu versüßen. Da man aber sonst überhaupt nicht wüßte, daß es jetzt durchzuhalten gilt, so nehmen wir solch kleine Entbehrungen gern in Kauf. Umso lieber, als man ja anderes jetzt gar nicht in Kauf nehmen kann, so daß wir das viele Geld, das Männe verdient, glatt zurücklegen können. Der faule Friede kommt früh genug, wo man's wieder für Tand ausgibt. Hoffentlich aber wird der Krieg noch lange genug dauern, daß auch darin ein Wandel zum Bessern eintritt. In der letzten Tagung der Vaterlandspartei hat Männe beantracht, daß der Krieg, den britischer Neid, französischer Revangschedurst und russische Raubgier uns aufjezwungen haben, auch nach Friedensschluß fortgesetzt werden soll, und mit diesem Antrach 'ne erdrückende Mehrheit erzielt. Nun heißt es durchhalten und je länger je lieber. Wir schaffen es. Kein Tag, der nicht 'ne Nachricht brächte, die das Herz lauter schlagen ließe. Wie sagt doch Emmi Lewald? »Dreitausend tote Engländer vor der Front! Keine Symphonie klänge mir jetzt schöner! Wie das angenehm durch die Nerven rinnt, fröhlich, hoffnungerweckend. Dreitausend tote Engländer vor der Front! – bis in die Träume klingt es nach und surrt wie eine schmeichelnde Melodie ums Haupt.« Bei Velhagen & Klasing ruft sie es aus. Ich fühle auch so. Und wie liebe ich die wundervolle Anny Wothe, die ihre prächtige Soldatenfrau dem Manne die Geburt eines gesunden Jungen mitteilen läßt: »Jott sei Dank wieder een Soldat! Der Junge soll Willem heißen, er soll einmal so fest werden wie unser Kaiser und druffschlagen, dat de Stücken man so fliegen. Die andern Jungen aber, sie beten alle Dage, du solltest recht ville Franzosen dotschlagen. lk bete ooch, aber nicht um dein Leben. Der steht bei Gott. Ik beet, det du ordentlich deine Pflicht tust, det du nicht zuckst, wenn die Kugel kommt, un der du ruhig stirbst, wenn et sein muß, vor unser Vaterland, un unsern Kaiser, un nich an uns denkst. Und wenn du vor deinen Hauptmann sterben kannst, so denke ooch nicht an uns. Die fünfe grüßen dir mit mir. Bei der Taufe von Willem wollen sie Heil dir im Siegerkranz singen, womit ik verbleibe deine treue Jattin!« – Ach weiß Jott, der einzige Grund, warum ich meinem Jatten nicht auch so schreiben kann, ist, daß er leider nicht im Felde ist, weil er zum Glück unabkömmlich ist, und ferner, daß ich nur einen Sohn habe, denn das jüngste ist wie gesagt leider 'n Mädchen. Für das Opfer, fürs Vaterland kein Opfer bringen zu können, müssen einen die geschäftlichen Erfolge entschädigen. Wahnschaffe hat soeben eine wirklich interessante Kriegsneuheit geschaffen, die schon in Deutschland und in dem mit uns Schulter an Schulter kämpfenden Östreich-Ungarn patentamtlich geschützt ist und deren Vertrieb an tüchtige Herren gegen hohe Provision vergeben wird. Es ist »Heldengrab im Hause«, zugleich Reliquienkästchen und Photographieständer und bietet somit nicht nur'n artiges Schmückedeinheim, sondern auch religiöse Erhebung. Es berührt mich wehmütig, daß wir selbst leider für so zeitgemäßen Totenkult im Zimmer keine Verwendung haben. Meine Kinder, nicht alt genug, um schon für den Kaiser sterben oder sich sonst für das Vaterland opfern zu können, haben aber leider auch den Nachteil, daß sie nicht erst nach Kriegsausbruch zur Welt gekommen sind. Sonst sollte mir der Junge Warschau heißen und das Mädchen Wilna oder er Hindenburg und sie Zeppeline! Denn daß der Junge Willem heißt, hat sich auch vor dem Krieg von selbst verstanden, ich sehe darin keine besondere patriotische Huldigung.

(3.40.3)                                                                                                                                    Frau Kommerzienrat Wahnschafe & ihre Kinder

Frau Kommerzienrat Wahnschaffe: Ach, da kommen sie ja gelaufen, die niedlichen Jöhren! Was is'n los? Spielt ihr denn nich Weltkrieg?

Willichen (weinend): Muttelchen, Mariechen will nich dot sein!

Mariechen: Wir haben Einkreisung jespielt, denn Weltkrieg, und nu –

Willichen (weinend): Ich wollte doch nur 'nen Platz an der Sonne, da –

Mariechen: Er lügt!

Willichen: Ich hab ihren Punkt erfolgreich mit Bomben belegt und nu will se nich dot sein!

Mariechen (weinend): Nee, is nich, is ne feindliche Lüge, echt Reuter! Zuerst hat er meine Vorstellung genommen und nu kommt er von der Flanke! Ich habe den Angriff mühelos abjewiesen und nu sagt er –

Willichen: Mariechen lügt! Ihr Gegenangriff ist in unserem Feuer zusammengebrochen. Jetzt sind übahaupt die letzten Engländernester gesäubert. Fünf der Unsrigen sind nicht zurückgekehrt.

Mariechen: Bei Smorgon erhöhte Gefechtstätigkeit.

Willichen: Wir haben Gefangene gemacht.

Mariechen: Wir haben eine gewisse Anzahl Gefangener eingebracht. Die in unserem Feuer gebrochenen Angriffswogen mußten, viele Leichen auf unserem Gelände zurücklassend, in Unordnung zurückfluten.

Willichen: Das ist die schonungslose Methode der Russen, die bei ihren Offensiven die Massen vorwärtstreiben. Die Stellungen blieben in unseren Händen. Wir haben Volltreffer erzielt.

Mariechen: Ich bin zur Offensive übergegangen.

Willichen: Ich bereite mich auf einen dritten Winterfeldzug vor.

Mariechen: 's ist ja gottvoll! Fatzke!

Willichen: Na wart, ik kämpfe bis zum Weißbluten!

Mariechen: Du farbiger Engländer und Franzose du!

Willichen: Es gelang dem Russen, in unseren Gräben erster Linie Fuß zu fassen, aber ein von uns bei Tagesanbruch ausgeführter Gegenangriff –

Mariechen: – warf ihn wieder hinaus.

Willichen: Mehrere Gegenangriffe, die der Feind im Laufe des Nachmittags versuchte –

Mariechen: – wurden durch einen kühnen Handstreich vereitelt. (Sie schlägt ihn.)

Willichen: Sie lügt! Das sind übrigens die typischen Anfangserfolge jeder Offensive. (Er schlägt sie.)

Mariechen: Man hüte sich, die optimistischen Voraussichten über die Offensive zu übertreiben.

Willichen: Beim letzten Luftangriff auf die Festung London –

Mariechen: – habe ich sogleich Repressalien geübt! Karlsruhe –

Willichen: Ja, drei Zivilisten sind tot, darunter ein Kind. Der militärische Schade ist unbedeutend. Es ist immer dasselbe.

Mariechen: Na und du? Zwei Zivilisten und eine Frau! Der militärische Schade ist unbedeutend. Es ist immer dasselbe.

Willichen: Sie hat die Flagge des Roten Kreuzes nicht respektiert! Es ist immer dasselbe.

Mariechen: Er auch nicht! Es ist immer dasselbe.

Willichen: Wer hat angefangen?

Mariechen: Ich auch nicht!

Frau Kommerzienrat Wahnschaffe (die bis jetzt leuchtenden Auges zugehört hat): Mariechen, sei du man ganz stille, Vater sagte, ihr dürftet Weltkrieg spielen, aber die Grenzen der Humanität müßtet ihr einhalten. Willichen kann keiner Fliege 'n Haar krümmen, er schützt seinen Besitzstand so gut er kann. Er führt einen heiligen Verteidigungskrieg.

Willichen (weinend): Ich habe es nicht gewollt.

Mariechen: Wer denn?

Willichen: Immer feste druff! (Er schlägt sie.) Ich habe einen Volltreffer erzielt.

Mariechen (schlägt ihn): Komm nur in meine Riegelstellung!

Frau Kommerzienrat Wahnschaffe: Laß doch Puppe!

Willichen: Wart man, ik hol meinen Flammenwerfer!

Frau Kommerzienrat Wahnschaffe: Kinderchen spielt, aber haltet die Grenzen ein! Wenn Willichen weiter so brav ist, bringt ihm Papelchen das Eiserne Kreuz aus dem Kontor mit.

Willichen: Hurra! Da haste mein belgisches Faustpfand!

(Er stürzt sich auf Mariechen und verprügelt sie. Mariechen weint.)

Frau Kommerzienrat Wahnschaffe: Willichen, immer human! Vergiß deine gute Erziehung nicht! (Sie geht mit einem Taschentuch auf Mariechen zu.)
Nu, Kinder, nu geht in die Stellung zurück,
Doch zuvor putz ich dir noch die Nase.

Mariechen (weinend):
Der Bengel beschießt meine Zuckerfabrik
Und verwendet giftige Gase!

(Sie erhebt sich und schlägt Willichen in die Flucht.)

Willichen: Der Rückzug ist nur strategisch. (Im Laufen) In Erwartung dieses Angriffes war die Räumung des der beiderseitigen Umfassung ausgesetzten Bogens seit Jahren ins Auge gefaßt und seit Tagen eingeleitet worden. Wir kämpften den Kampf daher nicht bis zur Entscheidung durch und führten die beabsichtigten Bewegungen aus. Der Feind konnte sie nicht hindern. (Aus der Entfernung) Hurra, ich nehme die Siegfriedstellung ein!

(Zwei Invaliden humpeln vorbei, in die Richtung zur Allee.)

Frau Kommerzienrat Wahnschaffe: Nun muß ich aber zum Rechten sehn. Wir scheuern heute mit dem Seifenersatzpräparat »Kriegskind«. (Sie erblickt die Invaliden.) Schon wieder! Das ist denn doch zu lästich! Wenn die jetzt die Tafel nicht wahrnehmen, mache ich die Anzeige beim Ortsvorsteher.

(Die beiden Invaliden bleiben vor der Tafel stehen und kehren um.)

Der eine Invalide: Also wohin?

Der andere Invalide: Zurück ins Feld. Dahin lassen sie einen.

(Sie humpeln ab.)

(3.40.4)                                                                                                                                                                   Bonne mit dreijährigem Knaben

(Eine Bonne kommt mit einem dreijährigen Knaben, der in der Nase bohrt.)

Die Bonne: Fritze, schämst du dich nicht? Na wart, das sag ich Hindenburch!

(Fritze zieht erschrocken den Finger zurück.)

(3.40.5)                                                                                                                                                                      Hänschen begegnet Trudchen

(Hänschen begegnet Trudchen)

Hänschen: Gott strafe England!

Trudchen (ihn fest anschauend): Er strafe es!

(Sie gehen Schulter an Schulter ab, indem sie Lissauers Haßgesang anstimmen.)

(3.40.6)                                                                                                                                                                          Hans Adalbert & Mariechen

(Hans Adalbert, 3 Jahre, begegnet Annemariechen, 2 ½ Jahre.)

Hans Adalbert: Ich höre, du hast Kriegsanleihe gezeichnet.

Annemariechen: Gewiß, ich hielt mich für verpflichtet. Den Gesprächen der Erwachsenen entnahm ich die ganze Größe der Bedeutung der Kriegsanleihe, und nun bestand ich darauf (sie stampft und geslikuliert heftig) Kriegsanleihezeichnung nicht etwa nur zu spielen, sondern mit ihr auch Ernst zu machen. Auf meinen dringenden Wunsch entnahmen die Eltern meiner Sparbüchse den ganzen Inhalt, 657 M, und –

Hans Adalbert: Mit oder ohne Lombardierung?

Annemariechen: Natürlich mit!

Hans Adalbert: Donnerwetter!

Annemariechen: Es soll dir und jedermann ein Beispiel sein.

Hans Adalbert: Ein Hundsfott, wer anders denkt!

(3.40.7)                                                                                                                                                                                                  August & Guste

(August und Guste treten auf.)

Guste: In zwei Monaten ist England auf die Knie gezwungen.

August: Glaubst du? Ich bin kein Flaumacher, aber was sagst du zu Amerika?

Guste: Na die Kunden kenn' wa doch!

August: Unsre Stimmung ist ernst, aber –

Guste: – zuversichtlich!

(3.40.8)                                                                                                                                                               Bonne mit dreijährigem Mädchen

(Eine Bonne kommt mit einem dreijährigen Mädchen, das in der Nase bohrt.)

Die Bonne: Mieze – wart, wenn das der jroße Jeneralstab sieht!

(Mieze zieht erschrocken den Finger zurück.)

(3.40.9)                                                                                                                                                                                                       Klaus & Dolly

(Klaus begegnet Dolly.)

Klaus: Wir waren einjekreist, das erkennt doch heute schon jedes Kind.

Dolly: Britischer Neid, französischer Revangschedurst und russische Raubgier – da weiß man doch Bescheid. Die Frage nach der Kriegsschuld beantwortet sich von selbst. Deutschland wollte 'nen Platz an der Sonne.

Klaus: Europa war ein Pulverfaß.

Dolly: Der belgische Vertrag war ein Fetzen Papier.

(3.40.10)                                                                                                                                                                                              Walter & Marga

(Walter begegnet Marga.)

Marga: Mein Vater hat den Protest der 93 Intellektuellen unterschrieben. Er sagte aber, er habe ihn nicht gelesen, er wolle blind unterschreiben. Und dein Vater?

Walter: Mein Vater hat ihn gelesen.

Marga: Und was sagte er?

Walter: Er unterschreibe doch.

(3.40.11)                                                                                                                                                                                  Paulchen & Paulinchen

(Paulchen begegnet Paulinchen.)

Paulchen: Bethmann Hollweg ist offenbar für 'nen Verzichtfrieden zu haben.

Paulinchen: Das kann Tirpitz pipe sein.

Paulchen: Mir auch. Und du?

Paulinchen: Ausjeschlossen! Ist ja zum Schießen!

(3.40.12)                                                                                                                                                                                                  Jochen & Suse

(Jochen und Suse treten auf.)

Jochen: Was wir vor allem brauchen, ist Übasee. Ich sage dir, wenn wir mit dem Welthandel nicht vorwärtskommen, hat Deutschland in diesem Krieg schlecht abjeschnitten.

Suse: Olle Kamellen. Wir müssen Festland annektieren. Wir brauchen Belgien als Fliegerbasis und etwa noch das Erzbecken von Briey, sonst –

Jochen: Du sprichst vom Minimum.

(3.40.13)                                                                                                                                                                                   Mutter & Töchterchen

(Eine Mutter mit ihrem Töchterchen, neben ihr ein Herr.)

Die Mutter: Na Elsbeth, willst du nich spielen?

Das Töchterchen: Nee.

Die Mutter: Na spiel doch Kind.

Das Töchterchen: Nee.

Die Mutter: Was das Kind für 'ne komische Mentalität hat! Warum nur nicht?

Das Töchterchen: Das haben wir eben vor den Engländern voraus und darum sind sie neidisch auf uns.

Die Mutter: Ach hören Sie nur – was denn Kinding? warum sind denn die Engländer neidisch auf uns – na sag das mal dem Onkel, Elsbethchen!

Das Töchterchen: Die Engländer sind neidisch auf uns, weil wir im Begriffe sind, aufwärts zu steigen, sie aber abwärts. Das kommt daher, weil die Deutschen nach der Arbeit noch weiter arbeiten, die Engländer sich aber an Spiel und Sport erfreuen.

Die Mutter: Goldene Worte, Elsbeth. Nee, du mußt wirklich nicht mehr spielen, Elsbeth. So 'n Kind beschämt einen.

Der Herr: Kindermund.

Die Mutter: Das will ich der B. Z. mitteilen!

Der Herr: Nee, besser für die Sammlung »Das Kind und der Krieg«, Kinderaussprüche, Aufsätze, Schilderungen und Zeichnungen.

(3.40.14)                                                                                                                                                                                           Vater & Söhnchen

(Ein Vater mit seinem Söhnchen.)

Sohn: Vata, im B.T. Steht 'ne W.T.B.–Meldung (Wolffs Telegraphisches Büro, Nachrichtenagentur in Berlin), daß durch den Krieg eine sehr erfreuliche Abnahme der Säuglingssterblichkeit stattjehabt hat, wenigstens in den deutschen Städten, für das offene Land lägen entsprechende Statistiken noch nicht vor, na und daß dort die Verhältnisse noch günstjer liegen, kann man sich ja denken. Der Krieg sei überhaupt 'ne Quelle der Verjüngung jeworden. Vata, ik begreife, daß durch den Krieg die Säuglinge nich alle jeworden sind, da sie ja noch nicht in dem Alter sind, um sich dem Vaterlande nützlich zu machen, aber erkläre mir Vata, wie es kommt, daß der Krieg die Säuglingssterblichkeit geradezu herabsetzt?

Vater: Der durch den Krieg bedingte Ausfall in den Geburtenziffern –

Sohn: Ach quatsche nich, da müßten ja eher weniger, Säuglinge als mehr –

Vater: Halte die Schnute. Der durch den Krieg bedingte Ausfall in den Geburtenziffern wurde jedenfalls durch die bessere Erhaltung des Aufwuchses wenigstens teilweise ausgeglichen.

Sohn: Ach Unsinn, im Krieg herrscht doch 'ne Lausewirtschaft, wie sollte denn da der Aufwuchs besser erhalten werden als im Frieden? Wo nehmt ihr denn die Milch her?

Vater: Willste man stille sein, du Dreikäsehoch!

Sohn: Is nich! So kannste mich nich mehr nennen –

Vater: Willste gleich – warum denn nich?

Sohn: Drei Käse! Ja Menschenskind, ik bin alt genug, um schon vajessen zu haben, wie hoch 'n einziger ist!

(Der Vater gibt ihm eine Maulschelle.)

(3.40.15)                                                                                                                                                                          Anderer Vater & Söhnchen

(Ein anderer Vater mit seinem Söhnchen.)

Vater: Jawoll mein Junge, immer feste – wie sagt doch Schiller, ans Vaterland ans teure schließ dir an!

Sohn: Vata –

Vater: Nanu?

Sohn: Vata, is denn det Vataland jetzt auch teurer jeworden?

Vater: Unerschwinglich, Junge, unerschwinglich!