3-45. Szene                                                                                                                                                                                    Ein Wiener Nachtlokal

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Stegreifdichter Rolf Rolf, Sängerin Frieda Morelli, eine Stimme, ungarischer Viehhändler, Besitzer des Nachtlokals, Getreidehändler Kammerrat Knöpfelmacher, Stammgast, betrunkener Funktionär des Roten Kreuzes und sein Kollege, zwei Offiziere, Regimentsarzt und sein Kollege, Rufer und Gegenrufer, ein Rufer und seine Antwort, Betrunkener / Gelächter und Rufe / zwei eintretende Offiziere, Gäste, Animiermädchen, Garderobepersonal, Toilettefrau / Offiziere, Buffetdamen, Lebemänner, Herren vom Roten Kreuz, polnische Legionäre, Personal, Mitwirkende, die Salonkapelle Nechwatal und die Zigeunerkapelle Miskolczy Jancsi.

In der Nacht nach der Zweiten Einnahme von Czernowitz durch die Russen. Offiziere, Buffetdamen, Lebemänner, Herren vom Roten Kreuz, polnische Legionäre, Personal, Mitwirkende. Die Salonkapelle Nechwatal und die Zigeunerkapelle Miskolczy Jancsi.

Rolf Rolf, der Stegreifdichter (ist soeben, halb singend, mit der Konzeption eines Gedichtes beschäftigt, das sich auf hingeworfene klassische Zitate und Huldigungen für anwesende Truppengattungen aufbaut):


– – – – –


Die Legionäre haben viel geleistet –


Das liegt schon so in der Natur.


Rufe: Bravo! Bravo!

Und sehn Sie – wenn ich das betrachte –


So fällt mir vom Herzen eine Last –


Wenn ich sage – zu der Dame dorten –


Du doch Diamanten und Perlen hast!


Und hier – zu diesem deutschen Soldaten


Sag ich: Es zogen nach Frankreich zwei Grenadier'.


Heut aber – das muß ich schon sagen –


Ist es – fürwahr – doch sehr – stier!

(Gelächter.)

Rufe: Oho! Bravo! Bravo!

(Beim Eintreten Zweier Offiziere intoniert die Salonkapelle: Wir sind vom k. u. k. Infanterie-Regiment Hoch- und Deutschmeister Nr. 4.)

(Alles singt mit.)

Frieda Morelli, die Sängerin (tritt auf und singt, die Hände abwechselnd vom Busen in die Richtung zum Publikum führend):


Ja, mein Herz gehört nur Wien!


Doch sehr schön ist auch Berlin!


Denn sehn Sie, so ein Leudenant –


(die Oberlippe streichend)


So indresant und auch charmant,


Ich geb ihm gern ein Rangdewu,


Doch noch lieber – hab ich Ruh.


Denn ach, denn ach, denn ach,


Man wird so leicht ja schwach.


Ja drum sag ich, mein Herz gehört Wien,

Doch sehr schön ist auch Berlin!

Rufe: Bravo! Bravo!

Eine Stimme: Rosa, wir fahren nach Lodz!

(Die Musik intoniert diese Melodie, um nach einiger Zeit in die Melodie: »Der guate alte Herr in Schönbrunn« überzugehen.)

Ein ungarischer Viehhändler (zum Besitzer des Nachtlokals): Ober dos is jo glänzend wos hier olles geboten wird!

Der Besitzer des Nachtlokals: Ja, ich schmeichle mir ein erstklassiges Ensemble zu haben. Jeder Besucher meiner Lokalitäten wird zugeben müssen, daß die Bezeichnung »42-Mörser-Programm« auf dem Plakat nicht zu viel versprochen hat.

Der Viehhändler: Ober nain, 42 Mörser is Kinderspiel gegen so ein Programm!

Der Besitzer: Der Feind selbst müßte zugeben, es is ein Bombenerfolg.

Der Viehhändler: Wos Bomben! Bomben sind Krepierln gegen solche Schloger!

Der Besitzer: Herr Kommerzialrat, zum Dank für die so schmeichelhafte Anerkennung werde ich mir sogleich erlauben, eine separate Huldigung darzubringen.

(Die Musik intoniert den Rakoczy-Marsch, um, nachdem der Viehhändler eine Champagnerflasche zerschla-gen hat, in den Radetzky-Marsch überzugehen, während dessen einer der Offiziere eine Champagner-flasche zerschlägt, worauf der Prinz Eugen-Marsch intoniert wird, um in die Volkshymne (Kaiserhymne von Österreich-Ungarn) überzugehen. Sämtliche Gäste und Animiermädchen erheben sich von ihren Plätzen und bleiben auch während des sich anschließenden »Heil dir im Siegerkranz« (Deutsche Kaiserhymne) und der abschließenden »Wacht am Rhein« stehen. Das Garderobepersonal und die Toilettefrau sind im Saal erschienen und nehmen an der Huldigung teil.)

Ein Getreidehändler (ruft in den Saal): Es lebe die Nibelungentreie!

Alle: Hurra! Hurra! Hurra!

Der Besitzer (zu einem Stammgast): Ist Ihnen der Herr bekannt, was jetzt gerufen hat?

Der Stammgast: Selbstredend, das is doch der Kammerrat Knöpfelmacher!

(Der Besitzer stürzt auf die Zigeunerkapelle los, die nunmehr »Ich hatt' einen Kameraden« intoniert.)

Ein betrunkener Funktionär des Roten Kreuzes: Sie – bringen Sie noch einen Whisky mit Soda und eine Tra – Trabucco mit Spitz. Du – (Aufstoßen.)

Ein Kollege des Funktionärs: Geh, was hast denn?

Der betrunkene Funktionär: Dort siech ich einen Verwundeten von uns – den Mann schick ich morgen nach Neuhaus – den Mann schick ich morgen zur Konschtatierung –

Der Kollege des Funktionärs: Geh laß'n gehen!

Der betrunkene Funktionär: Erlaube mir – das gibts nicht – den schick ich an die – (Aufstoßen) Front!

Der erste Offizier: (zu einem zweiten): Was steht heut im Bericht?

Der zweite Offizier: Nix Neues.

Der erste Offizier: No ja, aber Czernowitz!

Der zweite Offizier: No das is doch nix Neues.

Ein Regimentsarzt (zu einem andern): Oiweh, da schau her, der dort in der zweiten Loge. Dem hab ich gestern einen C-Befund gegeben. Heut draht er schon. Mieser Baldower, aber so viel Zehner möcht ich haben, wie dem sein Alter Tausender.

Der Kollege des Regimentsarztes: Ich versteh dich nicht, da bin ich ganz anders. Von mir kommt keiner zur Konschtatierung. Ausnahmen kann man ja machen. Aber im allgemeinen, das is doch einmal ein Gefühl, das man hat, wenn man die Burschen so vor sich zittern sieht. Wie einer anfängt zu zittern, ruf ich schon »Tauglich!« Da kann er Gift drauf nehmen. Umsornehr, wo wir doch jetzt nicht unter 50% gehn dürfen, da wird das eo ipso erschwert mit den Ausnahmen. Besonders bei der Neunerkommission von der K-Musterung.

Der Regimentsarzt: Du, was ich dir erzählen wollte. Gestern war eine Hetz im Spital! Die Schwester Adele hat nämlich noch immer eine kolossale Angst vor mir und laßt dir die Leibschüssel fallen von einem Bosniaken mit Beckenschuß. Hättest die Freud sehn solln, was die andern ghabt haben. Das war dir ein Gekicher! No, bis ich aber dazwischen gefahren bin! Man muß den Weibern imponieren. Gestern war überhaupt ein Tag bei uns –

Der Kollege des Regimentsarztes: Bei uns is das auch so. Der Ehrgeiz von so einer Aristokratin is mir unverständlich. Die andern machen Wäschekammer, Servieren und so. Die aber reißen sich förmlich um die Leibschüsseln.

Der Regimentsarzt: Ich muß gestehn, im Anfang hat mich das gereizt, so zu sehn, wie so feine Mädeln – aber man wird auch gegen das abgestumpft. Ich hab nachgedacht – warum tun sie das? No ja, sie wolln sich betätigen – Patriotismus und so. Wo hab ich nur gelesen, daß gerade wir Ärzte dagegen sein müßten, wegen dem Chok, den das weibliche Nervensystem bekommt, und weil sie für die Ehe verdorben wern! Probleme! Meschugge wird man sein und sich um Probleme kümmern im Krieg. Wir Praktiker –

Der Kollege des Regimentsarztes: Was ich sagen wollte, gestern war ein Tag bei uns, wo man wirklich geglaubt hätt, man is in kan Spital, sondern in an Narrenhaus. Postarbeit! Fünf Fälle mit Zitterneurose hab ich an die Front gschickt.

Der Regimentsarzt: No und ich fünf Darmverwachsungen und drei Tabes (Schwindsüchtige). Ich sag jedem ins Gesicht: Schwindel! Er kann doch keine Antwort geben, also ist der Schwindel so gut wie bewiesen.

(Die Salonkapelle intoniert den Prinz-Eugen-Marsch.)

Der Kollege des Regimentsarztes: Jetzt fang ich mir noch andere, da sind vor allem die typischen Schußverletzungen der linken Hand – ich wüßt auch wirklich nicht, wie man es anders machen sollt, wenn einem der Oberstabsarzt fortwährend am Gnack sitzt und dem der Teisinger auf dem Puckel.

Der Regimentsarzt: Ja, es is ein Kreuz. Gestern hab ich einer wunderschönen Nephritis mit akuter Herzschwäche einen A-Befund gegeben. No also daß sie singend in den Krieg ziehn, davon hab ich bisher wirklich nicht viel bemerkt. Sehr animiert is heut das Lokal –

Der Kollege des Regimentsarztes: Es geht. Es is unglaublich, wie man verroht. Man kommt faktisch gar nicht mehr dazu, human zu sein.

Der Regimentsarzt: Ein guter Arzt, hat es immer geheißen für den, der zu Füßen Nothnagels gesessen is, hat vor allem ein guter Mensch zu sein. Ja, das verlernt man gründlich, ich gesteh es offen, und das ist das erste was man im Krieg verlernt. Konträr, ein guter Militärarzt darf gar kein guter Mensch sein, sonst kann er schaun, wie er vorwärts kommt, das heißt in den Schützengraben. No über mich wird sich der Teisinger in dem Monat nicht beschweren können. Ich liefer ihm, ohne daß er bestellt. Von mir aus!

Der Kollege des Regimentsarztes: Bitt dich, wenn ma oben paar hundert Ruthenen so an einem Vormittag hat baumeln gsehn und unten paar hundert Serben wie ich, gwöhnt sich der Mensch an alles. Was is das einzelne Menschenleben wert? Du kennst doch den Fall, einer schreibt an seine Eltern, sie sollen unbesorgt sein, für den Notfall hat er ein weißes Tuch immer bei sich – der Brief kommt an mit dem Vermerk –

Der Regimentsarzt: Ich weiß: Absender standrechtlich erschossen. Bei uns is Ärgeres vorgekommen.

Der Kollege des Regimentsarztes: Und bei uns? Ich schau nicht rechts, ich schau nicht links, ich schau vorwärts! Man müßt sich umbringen. Man will aber leben.

(Alles ist aufgestanden.)

(Die Salonkapelle spielt »O du mein Österreich«, um sodann in die Melodie »Da habts mein letztes Kranl« überzugehen.)

Der Regimentsarzt: Sehr animiert is heut das Lokal.

Der Kollege des Regimentsarztes: Ja, wahrscheinlich wegen Czernowitz.

Der Regimentsarzt: Wieso? Weil die Russen –

Der Kollege des Regimentsarztes: Ja so – nein – oder doch. Oder – ich versteh das nicht – Schau die Paula an, bei dem Deutschmeisteroberleutnant. Die assentieret ich sofort.

Der Regimentsarzt: Du fliegst auf die?

Rufe: Tango! 

Gegenrufe: Pfui! Nieder mit Tango! Walzer! Das is ein deutsches Lokal!

Einer (ruft): Wonstep!

Antwort: Tepp!

Ein Betrunkener: Gott – strafe – spielts Walzer, Scheißkerln, mir san in Wean!

Der Besitzer (auf den Stammgast einsprechend): Wissen Sie, wer der Fähnrich is, der jetzt hereingekommen is? Sehn Sie, das wissen Sie nicht. Das is der, von dem man doch gelesen hat, russische Soldaten haben ihn mit Strickleitern aus einem Sumpf gerettet. Jetzt kommt er jede Nacht zu uns!

 

(Volkshymne

 

Gott erhalte, Gott beschütze

vor dem Kaiser unser Land!

Mächtig ohne seine Stütze,

sicher ohne seine Hand!

Ungeschirmt von seiner Krone,

stehn wir gegen diesen Feind:

Nimmer sei mit Habsburgs Throne

Österreichs Geschick vereint!

 

Fromm und bieder? Wahr und offen

laßt für Recht und Pflicht uns stehn!

Nimmermehr, so laßt uns hoffen,

werden in den Kampf wir gehn!

Eingeheizt die Lorbeerreiser,

die das Heer so oft sich wand!

Gut und Blut für keinen Kaiser!

Friede für das Vaterland!

 

Was des Bürgers Fleiß geschaffen,

schützet keines Kriegers Kraft!

Nicht dem Geist verfluchter Waffen

diene Kunst und Wissenschaft!

Segen sei dem Land beschieden;

Ruhm und Wahn, sie gelten gleich:

Gottes Sonne strahl' in Frieden

auf ein glücklich Österreich!

 

Laßt uns fest zusammenhalten,

in der Eintracht liegt die Macht!

Mit vereinter Kräfte Walten

wird das Schwerste leicht vollbracht.

Laßt uns, eins durch Brüderbande,

gleichem Ziel entgegengehn:

Ohne Kaiser glückts dem Lande –

dann wird Österreich ewig stehn!

 

Uns gehört, was Gott verwaltet,

uns im allerhöchsten Sinn,

reich an Reiz, der nie veraltet –

Reich der Huld, arm an Gewinn!

Was an Glück zuhöchst gepriesen,

gab Natur mit holder Hand.

Heil den Wäldern, Heil den Wiesen,

Segen diesem schönen Land!)